Leben mit der Dialyse Fragen von Steffi Hebekerl an den Dialysepatienten Martin G. Müller

Anfang 2017 hat die Schülerin Steffi Hebekerl für eine Projektarbeit in der Schule das Thema "Leben mit der Dialyse" gewählt. Hierzu hat Sie über Spektrum Dialyse mit mir Kontakt aufgenommen und angefragt ob Sie mir zum Thema Fragen stellen dürfe. Ich war hierzu bereit und fand die Fragen so gut dass ich dieses Interwiev  im Themenbereich Dialyse veröffentliche.

 

Vorstelleung:

" Martin Müller (44) lebet in Saarbrücken. Seit seinem siebten Lebensjahr hängt sein Leben, von der künstlichen Niere (Dialyse) ab.  Von seiner Jugend an ist er in der Selbsthilfe tätig.  Er ist Mitglied in den Vereinen Junge Nierenkranke Deutschland e.V. & Niere Saar e.V. 2010 gründete er die Arbeitsgruppe "Infoteam Organspende Saar". Er informiert auch im Infoportal "Spektrum Dialyse". 2015 wurde er für seine Verdienste im Bereich der Selbsthilfe sowie Organspende und Naturschutz, mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vom Bundespräsidenten ausgezeichnet."

 

Kurze Vita:

  • Alter: 44
  • Dauer der Dialysepflicht: 37 Jahre mit 2 Unterbrechungen
  • Seit dem 7. Lebensjahr dialysepflichtig
  • 2 Transplantationen, 2 mal abgestoßen
  • Ihr Gefäßzugang  "Shunt" für die Dialyse
  • Er engagiert sich  für Organspende und Betroffene einer Nierenerkrankung:
  • Er baute den Verein „Junge Nierenkranke Deutschland e. V.“ mit auf
  • Führten als Vorstandsmitglied entsprechende Seminare zur Nierenerkrankung durch
  • Engagierte sich im Vorstand des Vereins „Niere Saar e. V.“
  • 2010: War er Begründer und Namensgeber des "Infoteams Organspende Saar"
  • Von 2004-2012 organisierten er den Tag der Organspende in Saarbrücken
  • Aufgrund einer Herzerkrankung mussten er 2012 seine ehrenamtlichen Tätigkeiten niederlegen
  • Seit 2012 beräten er von zu Hause aus weiterhin Patienten
  • Er gehört der Gewerkschaft IGBCE, der SPD sowie dem Verband nephrologisches Pflegepersonal, der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Dialysezugang e. V., sowie dem Verein nierenkranker Kinder und Jugendlicher Heidelberg e. V. an
  • 2015 erhielten er für seine Arbeit mit der er 1985 begonnen hat. von Bundespräsident Joachim Gauck, die Bundesverdientstmedaille für sein Engagement

1. Fragen zum Schwerpunkt: Ernährungsumstellung

 

Steffi Hebekerl: Dialysepatienten wird geraten ihre Trinkmenge zu kontrollieren. In einem der Links, die Sie mir geschickt haben, stand, dass Sie nur 500ml zu sich nehmen dürfen.

 

Martin Müller: Ja es ist richtig, ein Dialysepatient darf am Tag nur 500 bis 800 ml Flüssigkeit zu sich nehmen. In dieser Menge ist auch das Wasser von Speisen wie Soße, Suppen usw. mit einzurechnen. Aber zu der Beantwortung der Frage muss ich auch erklären, warum die Flüssigkeitsbeschränkung so genau eingehalten werden muss.  Die Nieren sind wichtige Organe des Körpers. Jeder Mensch hat zwei Nieren. Die Nieren sorgen dafür, dass Abfallstoffe aus dem Körper entfernt werden. Bei der Aufnahme von Essen und Trinken auch Nährstoffe genannt, die der Körper benötigt, fallen auch vorgenannte Abfallstoffe an. Diese werden im Normalfall über die Nieren als Urin sowie über den Darm als Stuhl aus dem Körper ausgeschieden. Die Niere arbeitet dabei wie folgt: Sie filtert die Abfallstoffe aus dem Blut heraus, sammelt sie, vermischt sie mit Wasser und scheidet sie dann als Urin wieder aus. Die Niere reinigt so das Blut. Weiter sorgen die Nieren dafür, dass gerade genug an Wasser und Mineralsalzen im Körper verbleiben. Auch für die Regulation des Blutdruckes sind sie verantwortlich. Viele weitere Aufgaben haben die Nieren. Sind die Nieren nun krank oder versagen komplett, bleiben alle giftigen Abfallstoffe samt Flüssigkeit im Körper. So sammeln sich die Giftstoffe wie auch Wasser im Köper an. Wird man nun nicht an die künstliche Niere (Dialyse) angeschlossen, würde man innerlich vergiften und in kurzer Zeit (ca. vier bis sechs Tage) versterben. Auch das Wasser wird ein Problem, denn wird es nicht mehr ausgeschieden, sammelt es sich ebenfalls im Körper stätig an und kann am Ende in Lunge und Herz übertreten. Auch das führt zum Tod. Daher ist es lebenswichtig, dass man sich als Dialysepatient, exakt auf die Flüssigkeitszufuhr von 500 - 800ml täglich hält.

 

Steffi Hebekerl: Wie achten Sie auf Ihre Trinkmenge?

 

Martin Müller: Ich teile mir meine Flüssigkeit über den Tag genau ein. Morgens etwas zum Frühstück, Mittag etwas zum Essen eine kleine Menge über den Nachmittag und noch etwas zum Abendbrot und am TV. Im Vergleich teile ich mir etwas mehr als eine Flasche Mineralwasser über den Tag ein.

 

Steffi Hebekerl: Im Sommer wird immer gesagt „Viel trinken!“. Wie kommen Sie im Sommer mit der eingeschränkten Trinkmenge zurecht? Haben Sie vielleicht irgendwelche Tricks, die den Durst stillen?

 

Martin Müller: Wie gesagt, durch die ausgefallene Nierenfunktion, darf man nur eine bestimmte Menge trinken. Das zählt für den Sommer wie für den Winter. Ist der Durst zu groß, kann man ein paar Eiswürfel, Zitronenscheiben oder saure Drops lutschen. Das hilft ein wenig den Durst zu löschen. Es ist aber oft ein sehr großes Problem nicht zu viel zu trinken. Es kommt aber mal vor, dass man die Vorgaben nicht einhält. Dann muss die Dialysemaschine, die ja die Nierenleistung ersetzt, bei der Behandlung mehr Wasser entziehen. Das ist für Körper und Kreislauf eine große Belastung. Es kann dann zu Kreislaufproblemen, Muskelkrämpfen uvm. kommen. An der Stelle wird man dann für sein Fehlverhalten bestraft.

 

Steffi Hebekerl: Welche Getränke dürfen Sie ohne Probleme trinken und auf welche sollen Sie verzichten?

 

Martin Müller: Ohne Probleme kann ich außer Fruchtsäften, alkoholischen Getränken und ISO Getränken fast alles trinken. Am besten ist Mineralwasser, Tee, Limonade, Cola usw.

 

Steffi Hebekerl: Die spezielle Dialyse-Diät wird für jeden Patienten individuell erarbeitet, da man auf bestimmte Indikatoren achten muss, die nicht bei jedem Patienten gleich sind. Wie stark ist Ihre Ernährung, aufgrund dieser Diät, eingeschränkt?

 

Martin Müller: Die Ernährung ist schon sehr eingeschränkt und stellt einem als Patient immer wieder vor Herausforderungen. Denn man muss auf ausreichende Nährstoffe (Kohlehydrate, Eiweiß, Vitamine) achten, die aber gleichzeitig wenig Flüssigkeit, Natrium, Kalium und Phosphat enthalten. Daher ist eine Ernährungsschulung eine große Hilfe.

 

Steffi Hebekerl: Auf was müssen Sie ganz besonders achten?

 

Martin Müller: Auf eine Kaliumarme Diät. In vielen Nahrungsmitteln ist auch Kalium enthalten, fehlt die Nierenleistung steigt das Kalium im Körper an. Steigt es zu hoch, entzieht es dem Blut Sauerstoff und es kommt zu Herzrhythmusstörungen. Die bis zum Herzstillstand führen können. Ein Fehlverhalten in dem Punkt kann tödlich enden. Was ich bei  unerfahrenen Mitpatienten schon zahlreich erlebt habe. Bei der Ernährung sollte ich daher zum Beispiel auf Kakao, Schokolade, Obst, ebenso Trockenobst, Obstsäfte, Nüsse, Hülsenfrüchte, Spinat, rohes Gemüse oder Gemüsesäfte (Smoothies), Pommes, Chips, Erdnussflips und alle Kartoffelprodukte, soweit wie möglich verzichten. Und wenn nur in geringen Mengen, nach Diätvorschrift, verzehren. Man muss sich dabei immer wieder selbst kontrollieren. Denken Sie selbst mal darüber nach, wie oft Sie solche Dinge ohne groß zu überlegen im Alltag selbst zu sich nehmen ... Oder auch wie oft Sie etwas trinken. Versuchen Sie mal einen Tag darauf zu achten, um ein Gefühl dafür zu entwickeln.

 

Steffi Hebekerl: Wie kamen Sie anfangs mit der Ernährungsumstellung sowie der eingeschränkten Trinkmenge zurecht?

 

Martin Müller: Ich bin im Alter von 7 Jahren an die Dialyse gekommen, daher kann ich mich nicht so sehr daran erinnern. Man hat ja als Kind kein Verständnis über die Tragweite seines Handelns. Ich weiß nur, dass der Durst ein sehr großes Problem für mich war. Ich habe alles unternommen, um unbemerkt an Flüssigkeit zu kommen. Was ich in die Finger bekommen habe, habe ich getrunken. Von Blumenwasser bis Alkohol. Die Familie sperrte alles ein, was flüssig war. Das Essen selbst war für mich bis auf Obst nie ein großes Problem.

 

Steffi Hebekerl: Auf Kalium und Phosphat soll verzichtet werden. Wie kontrollieren Sie Ihre Kalium- und Phosphataufnahme?

 

Martin Müller: In dem ich auf die vorgenannten Dinge sowie Milchprodukte und Käse, die viel Phosphat enthalten ebenfalls verzichte. Man erhält Literatur und auch zu dem Punkt eine Schulung, um Fehler zu vermeiden.

 

Steffi Hebekerl: Müssen Sie zusätzliche Medikamente, wie z. B. Phosphatbinder, einnehmen?

 

Martin Müller: Ja bei den Mahlzeiten muss ich zum Essen z.B. Phosphatbinder, Vitamine und weitere Medikamente (Blutdruck/ Herzmedikament usw.) einnehmen.

 

Steffi Hebekerl: Fällt es Ihnen schwer auf gewisse Lebensmittel verzichten zu müssen?

 

Martin Müller: Ja da ich ein sogenannter Suppenkasper bin und Schokolade wie auch Gemüse liebe, fällt es mir sehr schwer auf diese Dinge zu verzichten oder nur in kleinen Mengen zu genießen.

 

Steffi Hebekerl: Auf welche Lebensmittel müssen Sie besonders verzichten?

 

Martin Müller: Suppen, Schokolade, Milchprodukte (nicht alle), Obstsäfte (wegen Kalium).

 

Steffi Hebekerl: Ist es für Sie möglich auch einmal in einem Restaurant mit Freunden oder Familie essen zu gehen?

 

Martin Müller: Ja das ist möglich, ich wähle dann etwas aus, dass ich essen kann. Beispielshalber Schnitzel als Beilage statt Kartoffeln, Reis oder Nudeln. Aber das geht schon. Allerdings müssen solche Besuche in den Tagesplan eingeplant werden. Da trinkt man dann morgens schon etwas weniger Flüssigkeit und isst weniger Produkte, die Kalium oder Phosphat enthalten. Die Krankheit fordert tägliche ihre Aufmerksamkeit. Aber mit einer gewissen Zeit der Erfahrung läuft das automatisch. Es sei denn, es treten Probleme auf, dann ist das innerliche Überwachungssystem voll im Vordergrund aktiv.

 

Steffi Hebekerl: Was müssen Sie beim Einkaufen besonders beachten?

 

Martin Müller: Beim Einkauf muss ich nur darauf achten, dass ich die Dinge einkaufe, die für meine Diät geeignet sind. Ebenso auf Inhaltsstoffe wie die berühmten E-Nummern. Die deuten auch auf versteckte Phosphate hin. Also ein Einkauf nimmt schon etwas mehr Zeit in Anspruch als beim Normalbürger.

 

2. Fragen zum Schwerpunkt: Probleme im Sozial- und Berufsleben

 

Steffi Hebekerl: Man sitzt gerne einmal mit Freunden oder der Familie zusammen und isst gemeinsam, z. B. grillt man gern einmal oder man geht in ein Restaurant. Wirken sich die Ernährungseinschränkungen in gewisser Weise auf Ihr Sozialleben aus und wenn ja, in wie fern?

 

Martin Müller: Ja und Nein. Meine Familie oder Freunde mussten sich daran gewöhnen, dass ich z.B. zum Grillen am Anfang meine eigenen Sachen mitgebracht habe. Die z.B. nach Diätvorschrift (natriumarm)  gewürzt waren. Doch das hatten alle schnell verstanden und so hat man sich auf den besonderen Besuch eingestellt und beim Würzen ein oder zwei Stücke Fleisch zum Beispiel nicht gesalzen. Aber mehr Einschränkungen habe ich da nicht.

 

Steffi Hebekerl: Fühlen Sie sich durch die Ernährungseinschränkungen in Ihrem Alltag  eingeschränkt?

 

Martin Müller: Ja! Wie gesagt versuchen Sie mal genau darauf zu achten, was Sie täglich essen und verzichten Sie mal einen Tag auf die knapp beschriebenen Produkte, die ich hier genannt habe oder auf das Trinken bis auf 800 mil. Auch beim Ausgehen in  einen Klub oder so kann ich nur eine Flasche Wasser trinken. Hier muss ich auch Alkohol und Runden ablehnen. Überlegen Sie mal was Sie an so einem Abend trinken... Freunde haben aber gleich meine positive Seite für sich entdeckt. Da ich nichts trinke, darf ich dann fahren. :-)

 

Steffi Hebekerl: Einer Hämodialysebehandlung unterzieht man sich drei Mal die Woche für  3-8 Stunden. Schränkt Sie das in Ihrem alltäglichem Leben ein und, wenn ja, in wie fern?

 

Martin Müller: Im Prinzip kann man die Dialysebehandlung wie ein Arbeitstag ansehen. Man ist von der Abreise bis zur Heimkehr fast 8 Stunden außer Haus. Danach fühlt man sich müde und ist auch nicht mehr so leistungsfähig. So geht man dann auch nicht mehr außer Haus. Es gibt aber auch Patienten, denen die Behandlung nicht viel ausmacht und die sind dann noch unternehmungslustig. Ist von Patient zu Patient verschieden. In meinem Fall ist es so, dass ich nach 37 Jahren Dialyse zahlreiche Zusatzerkrankungen habe, die mich besonders einschränken und die die Dialysebehandlung verstärkt. Das bedeutet dann eine starke Einschränkung. Zudem gehen einem drei Tage in der Woche, an denen man nicht viel tun kann, verloren. An den Dialysezwischentagen ist man auch nicht immer so leistungsfähig. So ist man in der Haushaltsorganisation und Freizeitgestaltung teils sehr eingeschränkt.

 

Steffi Hebekerl: Treten, aufgrund Ihrer regelmäßigen Dialysebehandlungen, Probleme in Ihrem Sozialleben auf, wenn ja, in wie fern?

 

Martin Müller:Da ich an zahlreichen Zusatzerkrankungen leide und ich daher nicht so leistungsfähig bin, kann ich z.B. mit 44 Jahren nicht mehr arbeiten gehen. Allein das ist psychisch eine Belastung, da man keine Aufgabe mehr hat. So lebe ich von einer Berufsunfähigkeitsrente. Die ist leider nicht so hoch, dass man regelmäßig ins Kino gehen kann, etwas mit Freunden Trinken oder essen kann. Oft muss man die knappen Finanzmittel auch noch in Medikamente investieren, die die Krankenkasse nicht zahlt. Wenn man daher immer wieder ablehnt, mit Freunden auszugehen, macht das mit der Zeit nicht nur einsam, sondern man hat auch weniger soziale Kontakte. Ebenso ist man als Partner nicht verlässlich. So gehen bestehende Beziehungen oft auseinander und es ist schwer, einen neuen Partner zu finden. Ich bin zum Beispiel krankheitsbedingt Single. Überlegen Sie selbst einmal, welche Pläne sie für die Zukunft haben. Die sind nur umsetzbar mit einer guten Gesundheit. Um den Familienwunsch umzusetzen, bedarf es einmal den richtigen und verlässlichen Partner. Ich bin z.B. als Dialysepatient nicht verlässlich und so ist man von vielen Dingen ausgeschlossen, die für andere normal sind.  Die Krankheit greift mit Dialyse und vielen weiteren Problemen sehr ins Leben und so ins Sozialleben ein.

 

Steffi Hebekerl: Der Shunt sieht auf den allerersten Blick komisch aus. Jedenfalls fand ich das, als ich eine AV-Fistel das erste Mal sah. Wie reagiert Ihre Umwelt auf den Shunt, wenn Sie z. B. im Sommer im kurzen T-Shirt einkaufen gehen?

 

Martin Müller: Jeder schaut auf den Arm und man hat das Gefühl, als Drogensüchtiger abgestempelt zu werden. Da die Bevölkerung nicht weiß, was das ist und es gleicht mit unzähligen Einstichstellen den Einstichstellen der Drogensucht. Mir macht das mittlerweile nichts mehr aus. Kinder sind da unkompliziert, die Fragen schon mal direkt, was hast Du da am Arm? Dann nehme ich mir die Zeit und erkläre es auch schon mal. Eltern sind dabei überrascht. Sie entschuldigen sich dann auch schon mal, weil sie einem in die falsche Schublade gesteckt haben. Für viele Mitpatienten ist das ein großes Problem. Das stellt auch bei der Partnerwahl ein Problem da, neben dem Shunt hat man ja auch andere Operationsnarben am Körper. Wer nimmt schon freiwillig einen solchen Partner? Vor allem in einer Gesellschaft, die nach Maßgaben vonGermanys next Topmodel, die Beurteilung der Menschen vornimmt. Die Inneren werte erkennt man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Soweit kommt es meist nicht, weil der Anblick des Shuntes schon mal abschreckend oder komisch wirkt.

 

Steffi Hebekerl: Wie reagierten Sie und Ihre Familie und Freunde als Sie zum ersten Mal mit Ihrem Shuntarm konfrontiert wurden?

 

Martin Müller: Die Familie und Freunde gehen damit locker um. Die wissen ja, was es ist. Ansonsten steht alles in der vorgenannten Antwort.

 

Steffi Hebekerl: Sie dialysieren nun schon seit Ihrer frühen Kindheit. Wie sind sie, damals als Kind und später als Jugendlicher, mit der Dialysepflicht und Ihrer Krankheit umgegangen?

 

Martin Müller: Nie so wie ich sollte. Sich mit Freunden treffen war gerade in der Jugendzeit wichtiger als Medikamente einnehmen. Man wollte normal sein und zur Gruppe gehören. Ich muss Medikamente schlucken und so weiter, passte nicht dazu. Ich war leichtsinnig und verlor durch dieses Verhalten auch meine Transplantatniere. Der sogenannte jugendliche Leichtsinn hat mich fast mein Leben gekostet. Ich war mir der Tragweite meines Handelns nicht bewusst.

 

Steffi Hebekerl: In wie weit war Ihr Sozialleben als Jugendlicher, durch die Dialysepflicht, eingeschränkt?

 

Martin Müller: Ich konnte z.B. die Schule nicht regelmäßig besuchen. Ich wurde eingeschult und nach der ersten Klasse erkrankte ich so, dass ich drei Jahre nicht zur Schule gehen konnte. Von der Ersten in die vierte Klasse ging nicht. Ich wurde zurückgestuft. Ich ging dann mit 9 Jahren sozusagen erst in die zweite Klasse. Meine Mitschüler waren damals in einer komplett anderen Altersklasse als ich. Was in der Entwicklung Probleme machte. Aber auch später im Beruf war ich viel Später als mein Altersjahrgang dran. Die Schule war durch die Krankheit nur schwer zu absolvieren. Da war ich sehr eingeschränkt! Was mir an Bildung fehlte, holte ich erst sehr spät nach. Aber als Kind war ich durch die Krankheit auch sehr viel im Krankenhaus. Ich musste von Saarbrücken in die Kinderklinik nach Heidelberg. Das bedeutete, mir fehlten nicht nur soziale Kontakte zu Hause, sondern auch die familiäre Bindung. Nur meine Mutter war bei mir.

 

Steffi Hebekerl: Wie sind Ihre Freunde damals mit Ihnen, aufgrund Ihrer Dialysepflicht und Krankheit, umgegangen? Gab es überhaupt Verhaltensveränderung seitens Ihrer Freunde?

 

Martin Müller: Freunde und Klassenkameraden wurden in der Schule und im Elternhaus, von ihren Familien aufgeklärt, was mit mir los ist. In einem kleinen Ort auf dem Land geht das schnell. So beobachteten mich mit der Zeit alle Kinder, was ich tue. Machte ich was falsch, wurde es sofort gemeldet oder ich davon abgehalten. Das war kein normales kindliches Verhalten. Selbst zum Toilettengang wurde ein Klassenkamerad mitgeschickt, um aufzupassen, dass ich kein Wasser auf der Toilette trinke. Da ich immer Durst hatte.

 

Steffi Hebekerl: Wie gingen Ihre Freunde und Familie damals und wie gehen sie heute mit Ihrer Dialysepflicht und Ihrer Krankheit um?

 

Martin Müller: Ich gehe heute ganz offen mit meiner Krankheit um. Ich bin sozusagen, wenn Sie meine Homepage sehen und lesen was ich in Blogs schreibe, gläsern. Freunde und Familie haben teils mit meiner Offenheit ein Problem. Da ich auch die ständige Todesbedrohung, klar darstelle. Freunde und Familie haben davor mehr Angst als ich. Sie meiden diese Thematik daher ehr. Auch früher waren alle ängstlich und überbesorgt, dass mir etwas passieren könnte. So konnte ich mich nie frei bewegen. Aber ich fand trotz allem, zur Verzweiflung aller, einen Weg den Teufel anzustellen. Ich war halt Kind.

 

Steffi Hebekerl: Sie waren in  einem saarländischen Bergbauunternehmen beschäftigt. Hat die Dialysepflicht Sie in Ihrem Berufsalltag eingeschränkt und wenn ja, in wie fern?

 

Martin Müller: Als ich mit meiner Arbeit begonnen hatte, war ich 19 Jahre alt. Mein Berufsleben gestaltete sich zu Anfang normal. Ich ging morgens um 7 Uhr ins Büro und an den Dialysetagen im Anschluss zur Dialysebehandlung. Ich war aber häufiger krank als Kollegen. Eine einfache Erkältung machte mir bei der Belastung mehr zu schaffen als den gesunden Kollegen.

 

Steffi Hebekerl: Wie verhielten sich Ihre Kollegen Ihnen gegenüber? Waren sie distanziert oder gingen Sie ganz normal mit Ihnen um?

 

Martin Müller: Meine Kollegen waren nett, man gehörte aber nie so richtig dazu. Ich war ja der "Kranke", auf den kein Verlass war. So fühlte ich mich krankheitsbedingt oft als Fremdkörper oder nennen wir es Außenseiter.

 

Steffi Hebekerl: Welche Probleme traten in Ihrem Berufsalltag auf, aufgrund Ihrer Krankheit?

 

Martin Müller: Ich war nicht so belastbar wie die gesunden Kollegen und wurde so nicht als vollwertig angesehen und fand so auch keine Bestätigung im Beruf. Man teilte mir keine eigenen Projekte zu. Ich war für Standards verantwortlich, die jeder erledigen konnte. Jeder möchte sich im Beruf entwickel und ist sicher unzufrieden, wenn ihm das nicht gelingt. So war es bei mir.

 

3.  Fragen zum Schwerpunkt: Probleme bei der Urlaubsplanung

 

Steffi Hebekerl: Wie planen Sie Ihren Urlaub? Auf was müssen Sie achten?

 

Martin Müller: Die Urlaubsplanung ist, wenn man es selbst organisiert, schon etwas schwierig. Eine Last-Minute-Reise ist nicht möglich. Man muss erst den Urlaubsort planen, dann sehen kann ich da überhaupt hinfahren, gibt es eine Dialyse in der Nähe. Ist das der Fall, muss man mit der Urlaubsdialyse Kontakt aufnehmen, um zu erfahren, ob in der gewünschten Urlaubszeit ein Dialyseplatz frei ist. Ist auch das der Fall, muss man die Kostenübernahme für die Urlaubsdialyse im Ausland bei der Krankenkasse beantragen. Liegt das alles vor, muss man noch seinen Medikamentenvorrat für die Urlaubszeit regeln. Teils muss man noch bei der Fluggesellschaft oder beim Zoll verschiedene Dinge anmelden. Bucht man über ein Reisebüro hat man viel Planungsarbeit gespart. Aber man muss sicher sein, dass die Dialyse am Urlaubsort gewährleistet ist, denn ohne geht ja nicht. Die Dialyse ist ja eine maschinelle lebenserhaltende Behandlung.

 

Steffi Hebekerl: Welche Einschränkungen haben Sie bei der Urlaubsplanung?

 

Martin Müller: Ich denke die vorgenannte Antwort erklärt diese Frage mit.

 

Steffi Hebekerl: Ist es überhaupt möglich in weiter entferntes Ausland zu reisen?

 

Martin Müller: Ja es ist möglich, weit entfernt in Urlaub zu fahren. Die Reiseindustrie hat sich auch auf Dialysepatienten eingestellt. So kann man fast in die ganze Welt fliegen. Ebenso mit einem Kreuzfahrtschiff fahren.

 

Steffi Hebekerl: Dürfen Sie, wenn Sie einen Shunt als Gefäßzugang haben, ganz normal schwimmen gehen?

 

Martin Müller: Ja ich kann normal schwimmen gehen. Es ist sogar gut für Dialysepatienten. Auf den Shunt bezogen sollte man halt nicht nach der Dialyse schwimmen gehen. Da die Einstichstelle dann noch aufgehen könnte, da besteht dann die Möglichkeit eines größeren Blutverlustes. Was für alle im Schwimmbad nicht besonders schön wäre. ;-)

 

4. Fragen zum Schwerpunkt: Wohlbefinden während und nach einer Dialysebehandlung

 

Steffi Hebekerl: Spüren Sie während einer Behandlung etwas davon?

 

Martin Müller: Nein außer der Punktion mit zwei Nadeln der Dicke von 2,0 mm vergleichbar mit einer Kugelschreibermine. Mehr spüre ich von der Behandlung nicht.

 

Steffi Hebekerl: Wie fühlen Sie sich während einer Behandlung?

 

Martin Müller: Ich fühle mich während der Behandlung eigentlich gut und arbeite am Laptop. Manchmal kommt es vor, dass ich Kopfschmerzen oder Muskelkrämpfe bekomme, wenn ich zu viel Flüssigkeit zu mir genommen habe. Dann kann auch mal der Kreislauf etwas Probleme machen. Wogegen man aber schnell etwas tun kann.

 

Steffi Hebekerl: Wie fühlen Sie sich nach einer Behandlung?

 

Martin Müller: Nach der Behandlung fühle ich mich müde und abgeschlagen und bin dann froh, wenn ich zu Hause bin und meine Ruhe habe. An Aktivitäten denke ich da nur selten.

 

Steffi Hebekerl: Traten schon einmal bei Ihnen Komplikationen während und/oder nach einer Dialysebehandlung auf?

 

Martin Müller: Ja z.B. ging die Dialysemaschine während der Behandlung kaputt und man musste sie austauschen. Dann ist mal ein Blutschlauch geplatzt, das sah dann schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war. Zudem traten Kreislaufproblemen und Erbrechen, wo auch der Arzt aktiv werden musste, auf. Auch die Nadel hat sich schon mal durch das Blutgefäß durchgestochen, da hat sich eingroßer und schmerzhafter Bluterguss gebildet.

 

5. Fragen zum Schwerpunkt: Warten auf eine Organspende

 

Steffi Hebekerl: Die Wartezeit auf eine Organspende beträgt teils bis zu 8 Jahren, wie erlebt man diese Wartezeit?

 

Martin Müller: Eine erfolgreiche Organspende bedeutet für den Patienten ein neues Leben und der einzige Weg, von der Dialysebehandlung und allen genannten Einschränkungen, befreit zu werden. Man darf wieder alles Essen und trinken. Ist wieder belastbarer und kann am sozialen Leben besser teilnehmen. In der Wartezeit muss man immer telefonisch erreichbar sein. Man wartet auf den einen Anruf vom Transplantationszentrum mit der Nachricht wir haben eine Niere für sie. Kommt dieser Anruf, muss man sofort ins Transplantationszentrum fahren, da man in engem Zeitraum von wenigen Stunden, transplantiert wird. Der Anruf bedeutet aber auch gleichzeitig, um mir ein neues Leben zu schenken, musste ein anderer Mensch sterben. Nicht wegen mir, sondern z.B. infolge eines Unfalls. Wo in meiner Familie Freude über den Anruf herrscht, ist eine andere Familie in tiefer Trauer. Das ist einem als Patient sehr bewusst. Daher ist dieses Geschenk eines neuen Lebens eines der wertvollsten die es gibt. Leider gibt es zu wenig Menschen, die einen Organspendeausweis besitzen, um so ein Geschenk, nach ihrem Tod zu machen. Täglich sterben daher fünf Menschen, weil es an einer Organspende fehlt.

 

Eine abschließende Frage: Sind Sie der Meinung, dass Sie durch Ihre Krankheit, den Folgeerkrankungen sowie den Dialysebehandlungen viel von Ihrer Lebensqualität verloren haben oder finden Sie, dass Sie, gerade dadurch, auch etwas für das Leben gewonnen haben?

 

Martin Müller: Die Krankheit hat mein ganzes Leben beeinflusst und mich vieler Möglichkeiten beraubt. Dazu kommt, das mein Leben mit der Erkrankung gesellschaftlich weder anerkannt, noch gewürdigt, noch irgendetwas anderes ist ... - alle Einschränkungen sind einfach nur ein Problem des Patienten. Ein Problem ist dabei auch, durch die Folgen der Erkrankung bin ich oft Single geblieben. Andere in meinem Alter haben seit 25 Jahren einen Lebenspartner und eine eigene Familie, meine Familie sind  "nur" die Eltern geblieben - um so schwerer wiegt an der Stelle der Verlust. Gewonnen hat man durch die Krankheit, dass man nicht so oberflächig durch die Welt geht wie der Rest der Gesellschaft heute. Man hat ein Auge für das wesentliche und kann sich auch an kleinen Dingen freuen.

 

Aber bei allem sehe ich die Krankheit als Freund an. Die Freundschaft ist mal gut und mal schlecht, wie im wahren Leben. Ich musste lernen die Krankheit anzunehmen nur so kann man gut mit ihr Leben.


Martin Müller im Portrait


Die Bedeutung für den Einzelnen - Leben mit einer Nierenerkrankung. Nina Schmitt im Interwiev mit Martin Müller.

Interview mit Martin Müller (46)

 

Zur Person: Martin Müller ist 46 Jahre alt und bereits seit seinem siebten Lebensjahr dialysepflichtig. Er dialysiert nun seit 39 Jahren mit zwei Unterbrechungen. Es gab zwei Versuche ihn zu transplantieren, beide Male wurde das Organ abgestoßen, so dass er wieder dialysepflichtig wurde. Martin ist trotz seiner schweren Krankheit ein sehr humorvoller Mensch, der immer einen lustigen Spruch auf den Lippen hat. Außerdem ist er sehr engagiert, besonders im Bereich Organspende, außerdem hat er immer ein offenes Ohr für nierenkranke Menschen. Er engagiert sich außerdem in zahlreichen Vereinen, wie zum Beispiel „Junge Nierenkranke Deutschland e.V“, er ist im Vorstand des Vereins „Niere Saar e.V“ er ist Begründer und Namensgeber des „Infoteams Organspende Saar“, er organisierte von 2004-2012 den Tag der Organspende in Saarbrücken. 2012 musste er seine ehrenamtlichen Tätigkeiten auf Grund einer Herzerkrankung niederlegen. Er berät hilfesuchende Patienten trotzdem weiter. Des Weiteren ist er Mitglied in der Gewerkschaft IGBCE der SPD und dem Verband „nephrologisches Pflegepersonal“, der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Dialysezugang e.V“ und dem Verein „nierenkranke Kinder und Jugendliche Heidelberg e.V“. Für sein besonderes Engagement wurde er 2015 vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck mit der Bundesverdienstmedallie geehrt.

 

Nina: Du warst ja sehr jung als du die Diagnose bekommen hast, wie hast du das als Kind empfunden?

 

Martin: Das kann ich Dir so genau nicht sagen ich war gerade sieben Jahre. Ich wehrte mich gegen alles, was mir als Kind nicht passte. Bei Untersuchungen oder Blutabnahmen schrie ich mir die Seele aus dem Leib. Ich erwehrte mich durch strampeln und vieles mehr. Oft mussten mich vier Pfleger festhalten, damit ich für die Dialysebehandlung, oder zur Blutabnahme gestochen werden konnte. Es war sehr traumatisierend, was mich auch lange belastete.

 

Nina: Wie war der Verlauf deiner Erkrankung?

 

Martin: Begonnen hat meine Erkrankung mit einem aufgeschwemmten Gesicht. Man dachte ich hätte Mums. Dann entdeckte der Hausarzt, Eiweiß im Urin und schickte mich in die Kinderklinik. Da stellte man ein Nierenversagen fest. Es erfolgte eine Therapie mit Wassertabletten, Kortison und einer Chemotherapie. Es folgte ein totales Nierenversagen. Ich wurde an die Uniklinik Heidelberg verlegt, wo es damals für Kinder mit die erste Dialysebehandlung in Deutschland gab. Ich verbrachte meine Kindheit bis heute oft in Heidelberg. Es folgten zwei erfolglose Nierentransplantationen. Die Krankheit zeigte über die Jahre immer mehr Nebenwirkungen und schränkt mich aktuell immer mehr ein. Die Aussichten sind daher nicht mehr allzu gut in der nahen Zukunft.

 

Nina: Wie war es für dich das erste Mal an einer Dialyse angeschlossen zu sein?

 

Martin: Da gibt es übereinstimmende Aussagen von mir und meinen Eltern. Als Erstes war ich völlig verängstigt, da man mir bei vollem Bewusstsein, einen Katheter, in den Hals steckte. Nur so konnte ich an die lebensrettende Dialyse angeschlossen werden. Man braucht dazu einen Zugang zum Blutsystem um das Blut von Giftstoffen zu reinigen. Ich war so überwässert, dass man mir 10 Liter Wasser entzogen hatte. Je mehr Wasser entzogen wurde, umso mehr spürte ich meine eigene Körpertemperatur wieder. Ich schrie, "ich verbrenne ich habe so heiß". Dabei spürte ich nur meine eigene Temperatur. Es war ein prägendes Erlebnis, das ich bis heute nicht vergessen habe.

 

Nina: Wie hat es dein Umfeld aufgenommen?

 

Martin: Alle waren sehr besorgt, hatten aber keine Ahnung davon, was ich und meine Eltern da in Heidelberg erlebten. Somit war auch nie jemand da, der wirklich mir oder meiner Familie helfen konnte. Da her stand man oft sehr allein und musste um alles bis heute kämpfen.

 

Nina: Wie ist deine weitere Kindheit verlaufen?

 

Martin: Meine Kindheit spielte sich komplett ohne familiäre Bindung in Heidelberg ab. Ich und meine Mutter waren teils Monate am Stück da. Nur mein Vater kam am Wochenende und besuchte uns. Er musste ja arbeiten. Ich hatte so keine richtige Kindheit. Kindergarten kannte ich nur kurz und in der Schule war ich sozusagen nur als Gast. Unterricht fand in der Klinik statt.

 

Nina: Wie sind andere Kinder mit dir umgegangen, haben sie dich anders behandelt?

 

Martin: Freunde und Klassenkameraden wurden in der Schule und im Elternhaus, von ihren Familien im Umgang mit mir aufgeklärt. So beobachteten mich meine Kameraden und Freunde aufs Genauste. Machte ich was falsch, wurde es sozusagen bei den Lehrern oder Eltern sofort zur Anzeige gebracht. Selbst zum Toilettengang wurde um aufzupassen, dass ich kein Wasser trinke, ein Klassenkollege mitgeschickt. Das war keine normale Behandlung, so war ich immer ein Sonderling. Noch heute, mit fast fünfzig, höre ich von ehemaligen Klassenkameraden, wenn ich etwas trinke, darfst Du das jetzt? :-)

 

Nina: War es dir möglich die Schule uneingeschränkt zu besuchen?

 

Martin: Nein. Da ich als Kind viel in der Klinik in Heidelberg war, konnte ich z.B. die Schule nicht regelmäßig besuchen. Nach der Einschulung erkrankte ich dann so, dass ich drei Jahre nicht zur Schule gehen konnte. Ich ging dann mit 9 Jahren sozusagen erst in die zweite Klasse. Meine Mitschüler waren damals in einer komplett anderen Altersklasse als ich. Was in der Entwicklung Probleme machte. Was mir an Bildung fehlte, holte ich erst sehr spät durch Kurse nach.

 

Nina: Wie stark schränkt die Krankheit dich ein? Besonders in Bezug auf Berufs- und Privatleben.

 

Martin: Da ich an vielen Zusatzerkrankungen leide, bin ich nicht leistungsfähig. Ich bin seit meinem 26. Lebensjahr, seit nun 20 Jahren, in der Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Rente ist leider nicht so hoch, dass man regelmäßig etwas unternehmen kann. Neben der finanziellen Einschränkung verhindert auch die Krankheit immer wieder Aktivitäten. Ebenso muss man alleine zurechtkommen, denn als Lebenspartner, zählt man mit der Erkrankung, nicht als verlässlich. Überlege nur mal selbst, welche Lebenspläne Du hast, auf vieles müsstest Du, mit einem kranken Partner in meiner Situation eventuell verzichten, oder komplizierte Strukturen erarbeiten. So ist man von vielen Dingen im Leben ausgeschlossen, die für andere normal sind.

 

Nina: Nun gab es zwei Transplantationsversuche, welche leider nicht geglückt sind, wie hast du diese Rückschläge empfunden und was haben sie in dir ausgelöst?

 

Martin: Es ist halt nicht einfach, das Leben, dass man wieder ohne die Bindung an die Dialysemaschine und ohne Einschränkungen, erneut aufzugeben. So rebellierte ich auch zu Anfang. Ich tat nicht, was die Ärzte sagten. Ich war trotzig, ich wollte weiter normal leben und mit Freunden unterwegs sein. Es dauerte eine Zeit, bis ich mich in die Abläufe mit Dialyse, wieder eingefunden hatte. Damals mit 18, dachte ich kurz daran, mir das Leben zu nehmen. Da ich nicht wieder an die Dialyse wollte und Angst vor dem Stechen mit der Nadel hatte.

 

Nina: Wie gehst du mit deiner Krankheit um?

 

Martin: Ich betrachte Sie als Freund. Mit einem Freund gibt es gute Zeiten und schlechte Zeiten. So wächst man mit der Zeit zusammen und empfindet die Auswirkungen, die gesundheitlich immer wieder kommen, als nicht so belastend. Ich genieße jeden Tag so, wie er sich mir anbietet. Im Guten genieße ich, im schlechten lerne ich, dass gute, immer als wertvoll zu betrachten.

 

Nina: Wie würdest du das Leben mit der Dialyse beschreiben?

 

Martin: Als ein Leben mit vielen Regeln, an die man sich halten sollte, denn nur dann ist das Leben damit lebenswert. Dazu braucht man auch Einsteckqualitäten und ein großes Gottvertrauen, um nicht doch auch mal in schwachen Momenten zu verzweifeln.

 

Nina: Gibt es für dich die Möglichkeit Urlaube zu machen?

 

Martin: Ja die gibt es. Die Reiseindustrie hat sich auch auf Dialysepatienten eingestellt. So kann man fast in die ganze Welt reisen. Ebenso mit einem Kreuzfahrtschiff fahren. Am einfachsten ist es über ein Reisebüro zu buchen, alles andere ist schwierig. Eine Last-Minute-Reise ist leider nicht möglich. Man muss sicher sein, dass die Dialyse am Urlaubsort gewährleistet ist, denn ohne sie geht es nicht. Die Dialyse ist ja eine maschinelle lebenserhaltende Behandlung.

 

Nina: Nun bist du ein sehr engagierter Mensch und hast immer ein offenes Ohr für andere erkrankte Menschen, was denkst du was es für die Menschen im Allgemeinen bedeutet, wenn es heißt die Nieren versagen?

 

Martin: Viele Patienten wissen zu Anfang gar nicht, was auf sie zukommt, und sind mit der Situation völlig überfordert. In erster Linie besteht Angst vor der Behandlung mit der Maschine. Da wird man an einen Apparat angeschlossen und sieht Blut laufen. Man hält innerlich die Luft an, weil man gar nicht einschätzen kann, was jetzt mit einem passiert. Auch mit Nadeln gestochen zu werden die bis zu 2,0mm dick sein können, ist sehr schmerzhaft. Zudem ändert sich der Lebensablauf. Man darf alles nur noch eingeschränkt essen, muss speziell kochen und darf nicht mehr viel trinken. Man darf nicht mehr viel Obst, Gemüse, Schokolade und vieles mehr essen. Zugleich darf man auch nur noch 500 bis 800 Milliliter am Tag trinken. Dazu zählt auch die Flüssigkeit aus der Nahrung. Warum muss man nun so genau darauf achten? Die gesunden Nieren sorgen dafür, dass Abfallstoffe aus dem Körper entfernt werden. Bei der Aufnahme von Essen und Trinken fallen Abfallstoffe an. Diese werden im Normalfall über die Nieren als Urin sowie über den Darm als Stuhl aus dem Körper ausgeschieden. Fehlt der Weg über die Nieren zu entgiften, bleiben alle Abfallstoffe im Körper. Würde man jetzt nicht die Nierenfunktion mit der Dialyse ersetzen, würde sich der Körper nach und nach vergiften und es käme zum Tod! Du siehst das ist ein großes Thema, das ich jetzt sehr knapp gefasst habe. Für die Patienten ist es sehr wichtig, wenn Ihnen in der Situation jemand hilft. Ich gehe dann zu den Patienten und höre ihnen aktiv zu. Mit einem Betroffenen zu reden, hilft ihnen oft mehr als Ratschläge der Ärzte. Da ist einer der weiß, wovon er redet und er spricht auch mit meiner Sprache. Für die Aufklärung, dass das Leben mit der Dialyse nicht das Ende jeder Lebensfreude bedeutet, engagiere ich mich aktiv für Patienten.

 

Nina: Zum Abschluss wüsste ich gerne, welche grundlegenden Tipps du anderen Patienten geben, kannst um so gut es geht mit dieser Diagnose leben zu können.

 

Martin: Mein Tipp ist, man muss die Krankheit annehmen. Nur wer seine Krankheit annimmt und erkundet, was damit noch möglich ist, empfindet sie nicht als so große Einschränkung, wie jemand der sich gegen sie stellt. Der sich dagegen stellt, empfindet nur Einschränkungen, das ist dann kein schönes Leben mehr. Wer im Einklang mit der Krankheit lebt, sich darüber informiert, hat eine viel höhere Lebensqualität. Eine gute Lebensqualität ist in allen Abläufen das Wichtigste für alle Betroffene!