Bundesverfassungsgericht trifft Entscheidung zur Dialyse

 

Das Schicksal zahlreicher Patienten muss dabei Beachtung finden!

 

Anhand eines möglichen Formfehlers der Kassenärztlichen Vereinigung konnten Ärzte, die sich aus einer Praxisgemeinschaft lösten, eigene Dialysepraxen im Saarland eröffnen. Die Ärzte hatten zuvor einen Versorgungsauftrag besessen, den sie an den neuen Standort mitnahmen. Ein Formfehler bestand wohl darin, dass die KV vermutlich ohne Auslastungsprüfung der umliegenden Dialysepraxen, zu unrecht Zulassungen mit Versorgungsaufträgen erteilte.  Hier auch im Falle eines Arztes, der eine solche Praxisgemeinschaft (Berufsausübungsgemeinschaften) mit Dialyse verlassen hatte. "Hiergegen rief die ehemalige Praxis, das Bundesverfassungsgericht an. Umstritten ist, ob ein aus einer Praxisgemeinschaft ausscheidender Arzt seinen Versorgungsauftrag mitnehmen und sich damit auch in eine konkurrierenden Einrichtung einbringen kann. Das Bundessozialgericht hatte mehrfach entschieden, dass dies nicht möglich ist. Laut der Urteile verbleibt der Versorgungsauftrag in der ursprünglichen Praxis." Nach diesen Urteilen hätte die Kassenärztliche Vereinigung wohl  keinen Versorgungsauftrag erteilen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht setzte nun das Urteil des Bundessozialgerichtes vorläufig aus und verlängerte damit das weitere Bestehen der Praxis, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Soweit eine sehr kurze Zusammenfassung der Abläufe.

 

Klage

 

Hier streiten und klagen nun konkurrierende Einrichtungen um die Versorgung und Behandlung von Patienten. Bei der Klage geht es in erster Linie um wirtschaftliche Interessen. Hier geht es, wenn man der Ärzte Zeitung glauben schenken kann, um sehr viel. So schrieb sie am 29.01.2018 "wenn das Urteil gegen die klagende Praxis fällt: "entstünden der klagenden Praxis "schon jetzt schwere und nahezu irreparable berufliche und wirtschaftliche Nachteile".  Fällt es für die klagende Praxis, gehen auf der anderen Seite nicht nur eine Existenz, sondern auch viele Arbeitsplätze verloren. Um allen Beteiligten gerecht zu werden, müsste das Bundesverfassungsgericht ein sogenanntes  "Salomonisches Urteil" fällen!

 

Verlassen wir die juristischen Auseinandersetzungen und wenden uns dem Streitgegenstand, dem  "Faktor Mensch"  mit Emotionen zu.

 

Mitspracherecht

 

Wo ist das Mitspracherecht der Patienten, die von einem negativen Urteil betroffen sind? In den Abläufen hören sie von behördlicher Seite nur die gewohnten Standardformulierungen wie: "Ihre Sorgen und Ängste werden ernst genommen!" Die Trennung zwischen Inhalt und Personen, die da beschworen wird, erscheint mir sehr künstlich. Am Ende wird das Urteil doch ohne Rücksicht auf

 

die betroffenen Patienten umgesetzt. Wie die Patienten mit der Situation zurecht kommen, ist dabei von geringerer Bedeutung. Daran ändert sich auch nichts wenn sie sich mit ihrem Schicksal an die Presse wenden.

 

Ökonomie

 

Das Gericht sieht den Patienten aus dem Blickwinkel des ökonomischen Interesses. Dabei geht die Sichtweise verloren, dass die Leidtragenden multimorbide Patienten sind, deren Leben durch Maschinen erhalten wird.

 

Für die vielseitige Therapie dieser Erkrankung ist ein gutes Vertrauensverhältnis zum medizinischen Team erforderlich. Die Patienten müssen nicht nur konsequent die ärztlichen Ratschläge befolgen, sondern vertrauen bei jeder Dialysebehandlung dem Team ihr Leben an. Dieses Abhängigkeitsverhältnis findet man in solch einem wiederkehrenden Rhythmus, in keiner anderen Erkrankung.

 

Aus juristischer und technischer  Sicht ist die Dialysebehandlung in allen Zentren durchführbar. Aus medizinischen/psychologischen Gesichtspunkten existieren sehr viele Faktoren, die es nicht erlauben die Patienten, problemlos von A nach B zu verrücken. Hier geht es immerhin um Menschen, nicht um leblose Objekte.

 

Für die Patienten stellt der Wechsel in fremde Umgebung, mit fremden Ärzten und unbekanntem Personal psychisch eine Extremsituation dar. Ferner ist das Auflösen von Patientengruppen, die seit Jahren zusammen regelmäßig dialysieren, eine schmerzliche Situation. Anders als in Vereinen haben sich Freundschaften entwickelt, die fester Bestandteil von Bewältigungsstrategien der Krankheitssymptome sind. Mit der Trennung versetzt man die Patienten emotional in Extremsituationen. 

 

Versorgungsauftrag

 

Es bestehen keine Zweifel, dass die neue Dialysepraxis die Behandlung erbringen kann. Ärzte wie Personal werden kompetent und  nett sein, aber an einem Wechsel hängt, wie dargestellt, so viel mehr als nur von A nach B zu gehen. Juristisch liegt der Brennpunkt darauf den Versorgungsauftrag zu gewährleisten. Hierbei wird die Krankheit, die für die Patienten oftmals mit Not,  Einsamkeit, Verzweiflung und Todesangst einhergeht, vollständig ausgeblendet.

 

Ich konnte die gezeichnete Sachlage in meiner Selbsthilfearbeit schon oft erleben. Ich traf dabei auf weinende Patienten in der neuen Dialyse. Erwachsene Menschen weinten aus Angst. Was ihnen bisher Halt gegeben hat, ging mit dem Praxiswechsel von jetzt auf gleich verloren. Eine solch existenzielle Herausforderung, in der das Leben zu scheitern droht, wünscht man keinem.

 

Existenzängste

 

Unter den Betroffenen befinden sich auch junge Patienten. Menschen, die in Lohn und Brot stehen. Ihr Berufs- und Familienleben ist auf die Dialysebehandlung in Ortsnähe ausgerichtet. Bietet nun die neue Einrichtung keinen gleichwertigen Termin, droht hier die Arbeitslosigkeit. Als Schwerbehinderter eine neue Arbeitsstelle zu finden ist nicht leicht. Dabei werden unschöne Erfahrungen gemacht, die die Existenzängste und die Sorge um die Familienversorgung der oft auch psychisch kranken Dialysepatienten noch verstärken. Man muss sich vor allem vor Augen führen, dass hier ein Mensch arbeitet und seine Familie ernährt, dessen Leben maschinell erhalten wird. Das sind Aspekte, die das Gericht bei der Urteilsfindung mit einbeziehen müsste!

 

Hilfe

 

Gegenwärtig brauchen die Patienten Stimmen die ihren Anliegen politisch zu einem Gesicht verhelfen und klar darstellen, dass hier zahlreiche Biografien dahinter stehen. Bisher bleibt die Unterstützung unterschiedlicher dafür zuständiger Verbände (Patienten/Pflege) aus. Der Urteilsspruch besitzt bundesweite Bedeutung und ist nicht auf das Saarland begrenzt. Das Dessintresse der Verbände führt bei den Betroffenen, die teils zu deren Mitgliedern zählen, zu Irritationen. Die Organisationen haben meines Erachtens mehr Bestimmungen für ihre Mitglieder, als nur das Ausrichten von erheiternden Geselligkeiten.

 

Pflegeteam

 

Mit dem Blick auf die Patienten ist eine weitere Personengruppe, die der Pflegekräfte, noch nicht erwähnt worden. Bei der Schließung der Praxen werden sie arbeitslos. An ihrer Arbeitsstelle hängen auch Familienexistenzen und deren Lebensstandard. Sie befinden sich zudem in einer Zwickmühle. Bewerben sie sich auf eine andere sichere Stelle, gehen der Dialysepraxis die Mitarbeiter verloren. Neue Kräfte werden sich bei dem schwebenden Gerichtsverfahren nicht bewerben wollen. Am Ende wäre es so möglich, dass die Dialyseversorgung nicht mehr sichergestellt werden kann. Man kann nur hoffen, dass die Loyalität am Ende nicht wirklich in der Arbeitslosigkeit endet.

 

Gewinner

 

Würde das Bundesverfassungsgericht die aktuelle Regelung der Dialyse kippen, müssten diese möglicherweise neu verhandelt werden. Es ist anzunehmen, dass dies nicht nur den Punkt der Mitnahme des Versorgungsauftrages der Ärzte berühren würde. Die industriellen Dialyseanbieter würden sicher nicht beschädiget. Nachstehendes Szenario wäre möglich.  Die Industrie produziert von der Maschine bis zum Verbrauchsmaterial 90 % eigenständig. Ihnen bleibt so der teure Produkteinkauf erspart. Von dieser Kosteneinsparung profitieren nicht nur Aktionäre, sondern auch Patienten. So könnte man hier nicht nur in mehr Personal investieren, sondern das Behandlungsangebot auch um Psychologen und Sozialarbeiter erweitern. Ebenso wäre eine erneute Reduzierung der Kostenpauschale für die Industrieanbieter, durch ihr weltweites Behandlungsfeld, einfach auszugleichen. Das hat man ähnlich am Beispiel des Dialysemarktes der USA verfolgen können. Diesen Gewinn - und Verlust - Ausgleich besitzen die unabhängigen Nephrologen nicht. Sie stehen unter erheblichem  Kostendruck, wie schon die Pauschalabsenkung 2013 für die Dialysebehandlung deutlich aufzeigte. Ob die Klage für die privaten Anbieter

 

bundesweit förderlich sein wird, oder sie am Ende reduziert, bleibt abzuwarten.

 

Plädoyer:

 

An der Schließung einer Dialyseeinrichtung hängen viele Verkettungen. Ein Wechsel in eine andere Dialyseeinrichtung müsste von Psychologen und Sozialarbeitern, wegen der zahlreichen Ängste und Probleme, längerfristig begleitet werden. Denn es besteht gerade bei der älteren Generation die Gefahr, dass sie bei diesen Abläufen die Therapietreue einstellen und in eine Depression abrutschen. Das führt zu körperlichem Abbau mit eventueller Todesfolge. Jenes Bewusstsein sollte das Bundesverfassungsgericht in seine Urteilsfindung mit einbeziehen. Ich kann nur dringend im Sinne der Patienten wie aber auch aller betroffenen Dialyseeinrichtungen (Kläger wie Beklagte) empfehlen, eine Übergangslösung einzuführen, die allen das Bestehen sichert. Letzten Endes geht es hier um menschliche Schicksale und nicht um verschiebbare Gegenstände. Das ausstehende Gerichtsurteil ist für alle Beteiligten eine enorme emotionale Belastung.

 

Das Gericht sollte vor allem mit Blick auf die Problemlage der Betroffenen ein "Salomonisches Urteil" sprechen.  Alles andere wäre Seelenmord an den Patienten