Der digitale Handschlag 2.0 - Ein Ausflug in die Zukunft der Medizin

Kennen Sie den Ausschnitt des Bildes "Die Erschaffung Adams" des Malers Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle? Es zeigt, wie der Lebensfunke Gottes auf Adam überspringen soll. Dabei fehlt ein kleines Stück, bis sich beide ausgestreckten Finger erreichen. Sie sind so nah und doch fern.

 

Wie passt nun dieses Bildnis zur Medizin?

 

An der Stelle der Distanz! Die kleine Distanz zwischen Adam und Gott existiert auch in der Medizin. Auch hier fehlt im Arzt-/Patientenverhältnis ein klitzekleines Stück.

 

Vor allem an der Kommunikation/Wahrnehmung des Patienten scheitert es immer wieder, wie folgende Beispiele zeigen:

  • Ein Arzt hatte Herzprobleme. Er erstellte ein EKG und stellte sich unmittelbar danach in der Klinik notfallmäßig vor. Das EKG in der Klinik war normal und seinem mitgeführtem EKG, wurde keine Beachtung geschenkt. Erst mit einer Notfalleinweisung vom Facharzt erreichte er Aufmerksamkeit. Es stellte sich infolge heraus, dass er ein Schrittmacher benötigte.
  • Eine Patientin erklärte in der Klinik verbal und schriftlich, welche Schmerzmittel sie nicht verträgt und auf keinem Fall zum Einsatz kommen dürfen. Am Ende wurde Sie genau mit einem dieser Medikamente behandelt. Die Nebenwirkungen waren enorm.
  • Bei mir stand eine Katheterablation an. Die Aufnahme hierzu in der Klinik erfolgte im Anschluss an die Dialyse. Die Blutabnahme in der Klinik (kurz nach der Dialyse) ergab auf dem Papier eine GFR (Nierenfunktion) von 22 %. So wies ich schriftlich eine Nierenfunktion auf. Ich erklärte an allen Stellen, ich besitze seit 1986 keine Nieren mehr. Hätte man meinen mitgeführten Unterlagen Beachtung geschenkt, wäre es erkenntlich gewesen. So bestand man  für den Eingriff auf einen Blasenkatheter obwohl es keine Ausscheidungsorgane gab! Ich habe die Klinik mit Misstrauen verlassen.

Drei Beispiele, die ich zahlreich fortführen könnte. Die Mediziner hören zu, aber das kleine Stück des Verstehens-/Erkennen fehlt zahllos!

 

Es fehlt heute oft die Fähigkeit der Verbalmedizin. Dank Gerätemedizin, die genaue Aussagen liefert, vertrauen die Ärzte darauf. Patientenkommunikation findet nur noch oberflächlich und nach Vorgaben/Richtlinien/DIN-Norm statt. Frei nach der Karikatur: "Wir haben vom Patienten nun 10 Röntgenbilder, 5 MRT´S, 8 Sonografien und es geht ihm immer noch nicht besser"?! Antwort der Schwester: " Es nützt nichts, wir müssen mit ihm reden".

 

Wo liegt die Problemstellung?

 

Das Problem liegt an unserer Generation. Wir sind in einer Blase des Übergangs und noch nicht auf Leitlinienmedizin getrimmt. Wir lernten und wuchsen mit handgemachter Verbalmedizin auf. Röntgenbilder und EKG musste der Arzt selbst durchschauen. Dicke EKG Papierberge mit Messlineal von Hand Lesen war der Standard. Auswertungsprogramme per Computer existierten noch nicht. CT, MRT bestanden ebenfalls nicht. Der Ultraschall war in der Anfangsphase. Ich trug damals in Heidelberg als Übungspatient sicher viel zur Ultraschallentwicklung bei.

 

Obgleich die heutige Technik damals fehlte, waren die Diagnosen der Ärzte im Ergebnis den heutigen gleich. Die fehlende Gerätemedizin wurde durch Verbalmedizin, Stethoskop, Tastsinn und logischem Denken ersetzt.  Prof. Brittinger (Pionier der Shuntchirurgie) z.B. verbrachte eine Stunde damit meine Gefäße im Arm mit geschlossenen Augen zu ertasten. Das war die Shuntdarstellung der 70iger Jahre. Ein solch ausgedehnter und vertrauenserweckender Arzt-/Patientenkontakt existiert gegenwärtig nicht mehr. Auch die Frage nach dem Wohlergehen im Verlauf einer Therapie hat sich im Gegensatz zu früher verändert.

 

Damals wurden medikamentöse Therapien im Blick behalten und nicht wie heute, aus Gewohnheit, bis zum St. Nimmerleinstag verordnet oder alle Tage umgestellt.  Aus Kliniken wurden man früher erst entlassen, wenn die Frage, "Wie geht es Ihnen" mit gut beantwortet wurde. Heute wird der Patient teils mit dem Kopf unterm Arm entlassen und im Arztbrief bezeichnet man die Situation als guter AZ (Allgemeinzustand). Die Darstellung hat oft mit dem Empfinden des Patienten geringe Übereinstimmung. Früher hatten wir, weil wir genau informiert wurden, Vertrauen in Abläufe und den Arzt. Wir stammen so aus der Zeit der Gourmet-Medizin und tun uns daher heute mit Fast Food  sehr schwer.  Wir wünschen uns wie früher einen Arzt, der Partner und Anwalt des Patienten ist. Wo dieser zudem nicht nach der Technik die er beherrschte beurteilt wurde, sondern nach seiner Menschlichkeit im Herzen. Die Zeit ist jedoch ein für alle Mal vorüber.

 

Die Generation um den Jahrgang 2000 besitzt diese Probleme und Wünsche nicht mehr. Sie sind in der pauschalen Gerätemedizin aufgewachsen. Sie stellen ihre Abläufe auch nicht so wie wir als Übergangsgeneration infrage. 

 

Sie belasten schon jetzt das Gesundheitssystem weniger als wir. Statt vertrauensvoll zum Arzt zu gehen, ist ihre erste Anlaufstation Dr. Google (Computer/Internet). Hat er die vermutliche Diagnose gestellt, geht es zur Onlineapotheke und es wird ein Mittelchen bestellt.  Erlangt man bei  Dr. Google jedoch keine Erkenntnis, geht es weiter in den App-Store (Internetgeschäft für Programme am Handy) um eine Diagnoseapp (Diagnoseprogramm) zur Krankheitsbestimmung heranzuziehen. Hierzu gibt es schon zahlreiche Möglichkeiten! So kann z.B. mit dem Blitzlicht des Smartphone (Handy) ein EKG erstellt werden, das auch noch ausgewertet wird.  Teils werden schon Kosten für Apps (es gibt weit mehr als 100.000 aus dem Bereich Medizin), von den Krankenkassen gezahlt. Der Wunsch nach Verbalmedizin besteht bei der Generation WhatsApp & Co nicht mehr. Sie entwickelt sich immer mehr dahin gehend,  den Arzt zu umgehen. Wie wird sich diese Generation weiterentwickeln, steht doch die Digitalmedizin am Anfang? Wie wird sich unsere medizinische Zukunft auch mit Dialyse darstellen?

 

Die Zukunft:

 

In der Zukunft werden Patienten immer mehr von ihrem Smartphone (Handy) überwacht. Das Smartphone wird Apps haben, die einer Klinik gleichen.  Blutdruck, Gewicht, Temperatur, Blutzucker und Medikamenteneinnahme gehören schon zeitnah zur Standardüberwachung. EKG und Ultraschall oder Messung  wie Überwachung von Blutgefäßen werden durch digitale Armbänder, intelligente Kleidung mit Sensoren, immer und überall möglich  sein. So kann man Herzrhythmusstörungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte in der Entstehung erkennen und verhindern. Hüftprobleme werden durch Fehlbelastungen und falsche Gangart anhand von Messungen mit Apps, die mit intelligentem Schuhwerk verbunden sind, über veränderbare Luftpolster ausgeglichen.  Auch Laboruntersuchungen werden überall und genauer als heute möglich sein. Erste Tests laufen schon.

 

Die Medizindaten, die unser Handy von uns dann sammelt, werden ohne, dass wir es merken, zu einem Computer gesendet, der die Ergebnisse auswertet. Stellt er eine Überschreitung der Toleranzgrenze fest, meldet er es automatisch an unseren Onlinehausarzt und vereinbart zeitgleich einen Termin in der Onlinesprechstunde. Die Onlinesprechstunde kann per Videokonferenz an allen Orten auch im Urlaub stattfinden. Benötigt der Patient Medikamente, werden die automatisch per Onlinerezept an die Internetapotheke gesendet und der Patient erhält seine Medikamente. Zuvor überprüft der Computer, ob der Patient die Wirkstoffe verträgt oder ob es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt. Schlägt er Alarm, muss der Arzt ein anderes Medikament verordnen hierzu gibt der Computer Vorschläge. Der Beruf der medizinischen Angestellten, des Apotheker, Pflegepersonal und des Arztes werden sich stark verändern. In der Schweiz werden schon jetzt Telemediziner ausgebildet.

 

Auch die Behandlung wird anhand der Diagnosen in der digitalen Zukunft anders aussehen. Der Computer kann zukünftig die Diagnose mit Millionen von Daten in Sekunden abgleichen und eine zielgenaue Behandlung einleiten. Gerade für Diabetiker und Schmerzpatienten ein Segen.  Gibt es doch z.B. weit mehr als 100 verschiedene Arten von Diabetes. Die Ärzte kennen heute jedoch nur die häufigsten. Der Computer wird zukünftig das richtige Schmerzmittel/Insulin und die Einstellung vorgeben. Kommt ein Patient ins Krankenhaus, liegen da schon vor Einlieferung alle Daten und Informationen vor. Denn unser Computerarzt betreut uns überall und in allen Sprachen verständlich. Ob es Kliniken in der Größe wie heute noch geben wird, ist fraglich. Eines ist sicher, Ärzte können per Robotersteuerung von jedem Ort der Welt operieren. Das heißt hat man ein prekäres Problem, kann man auch einen OP-Termin mit einem Fachmann aus Russland, der USA, China, Japan usw. vereinbaren. Sicher wird es auch hier wie heute unterschiede in der Klassenmedizin geben. Die Schließungen von Landkliniken wie von der Bertelsmann Stiftung aktuell vorgeschlagen, werden in die Zukunft gesehen kommen.

 

Auch die häusliche wie stationäre Pflege wird sich wandeln. So kann ich mir gut vorstellen, dass Patienten im Zimmer wie zu Hause per Webcam überwacht werden. Wenn die Hilfe vor Ort von einem Pflegeroboter nicht erledigt werden kann, wird auf seine Forderung eine menschliche Fachpflegekraft vor Ort kommen. Sprachbarrieren werden gerade im medizinischen Bereich, durch intelligente Dolmetschersysteme, die teils schon im Testbetrieb sind, Distanzen zwischen Pflegepersonal und Ärzten mit Migration sowie Patienten unverzüglich bewältigen.

 

Spätestens wenn die die Babyboomer Jahrgänge alle im Gesundheitssystem angekommen sind, muss diese Technologie partiell funktionstüchtig sein. Es braucht kluge Lösungen um den Pflegenotstand vorm vollständigen Kollaps zu schützen. Der kann nur in neuartiger Technik liegen. Der Landärztemangel wird so auch beseitigt werden. Die Medizin wird sich in den nächsten 30 Jahren so verändern, dass wir uns Krankenhäuser, Altenheime und Arztpraxen, in der zukünftigen Art mit dem digitalen Patienten, heute noch nicht vorstellen können.

 

Die Dialyse wie wir sie heute kennen wird es auch nicht mehr geben. Eventuell noch zum Übergang im Akutfall. Ich denke Firmen wie Fresenius werden sich auch verändern. In Verbindung mit der Gentherapie wird menschliches Gewebe gezüchtet und mit der 3D Drucktechnik neue Organe zur Transplantation gefertigt. Sicher werden auch kleine Geräte zur Transplantation bereitstehen, die z.B. eine Nieren/Herzfunktion ersetzen können. Ich denke Firmen wie Fresenius werden dann statt Dialysefilter solche implantierbare Nierenersatzgeräte oder gedruckte Organe herstellen. Firmen passen sich dem Wandel an. Aber auch die Zahnmedizin und die Orthopädie  wird sich durch die 3D Drucktechnik komplett verändern. Zudem wird es zukünftig gezielt möglich sein, bewirkt durch die ausgereifte Gentherapie, Nerven, Blutgefäße, Zähne und vieles mehr neu entstehen zu lassen. Des Weiteren bin ich sicher, dass es für Demenz, HIV und Krebs wirksame Medikamente, wie heute z.B. Antibiotika bei Infektionen, geben wird. Ein schneller weltweiter Datenabtausch wird langjährige Studien, auf einen Bruchteil der heutigen Zeit reduzieren. Der Mensch wird so immer älter werden, wenn durch neue Umwelteinflüsse keine neuen Krankheitsbilder entstehen. Aber auch die wird man durch Intelligente weltweit vernetzte Computersysteme, schneller als heute beherrschen.

 

Bis das alles soweit ist, werden die Dialyseabläufe immer mehr digitalisiert, sodass man nach und nach immer weniger Personal benötigt und der Computer weitere Aufgaben übernimmt. Personal wird am PC Platznehmen und die Patienten per Bildschirmen überwachen. Die Bettvisite wird durch Onlinevisite über Bildschirm der Maschine oder per automatisch fahrende Tabletts erfolgen. Hierzu gibt es schon funktionierende Modellversuche in Kliniken. Zudem wird der Arzt über unsere gesendete Daten vom Smartphone immer informiert sein. Das Smartphone wird anhand von Strichcodes erkennen, wann wir welche Medikamente nehmen, was und wie viel wir trinken und essen. Die Zukunft wird Überwachung pur. Die junge Generation hat damit keine Probleme, sie stellt ja heute schon alles online.

 

Nach der Beendigung der Verbalmedizin wird auch die Gerätemedizin nach und nach von der digitalen Überwachungsmedizin verändert.

 

Was hier nach Zukunftsmusik in weiter ferne klingt, ist teilweise schon da. Apps zur Überwachung von Blutdruck, Puls, Temperatur, Gewicht, Medikamenten Einahme, Migräne Überwachung, existieren schon. Auch ein  EKG kann man schon per Smartphone erstellen und an den Arzt senden. Verschiedene Apps werden schon von der Krankenkasse ebenfalls erstattet. In England gibt es schon sehr erfolgreich die Onlinepraxis Dr. Ed., wo schon über eine Million Fernberatungen stattfinden. Die digitale Medizin hat somit begonnen. Wir sind dabei die Übergangsgeneration und müssen uns schnellst möglich mit dem neuen Medizinzeitalter sowie deren Leitlinien anfreunden. Schaffen wir das nicht, wird uns weiter, in einer Zeit, wo sich Adam und Gott schon digital die Hand geben, weiter wie bei Michelangelo ein Stück fehlen.