Ein Schimpanse als Symbol der Hilflosigkeit und des medizinischen Scheiterns ...

Langzeitpatienten erfahren immer weniger Beachtung!

 

Nach fast 30 Jahren Behandlung in der gleichen Dialysepraxis erklärte mir meine Dialyseärztin unverblümt, dass ich mit meinem Sarkasmus eine rote Linie überschritten hätte. Zusätzlich verdeutlichte Sie mir, sollte ich mich nicht für meine Bemerkung entschuldigen, sei es mir freigestellt, zukünftig eine andere Dialysepraxis aufzusuchen!

 

Was war vorgefallen?

 

Nach über 40 Jahren Dialyse hat man mir medizinisch mehrfach bestätigt, dass ich an zahlreichen Medikamenten-Unverträglichkeiten leide. Das gestaltet meine Behandlung mit Therapieentwicklung sowie Therapieführung mehr als schwierig.  Ein Beispiel: Mein Hämoglobinwert (HB) liegt bei  6,8. Die gewohnte Therapie der Anämie entgegenzuwirken besteht in der Gabe von Eisen und Erythropoetin. Trotz des Wissens, dass ich beide Medikamente nicht toleriere, versuchten wir 3-mal die Gabe unter klinischer Beobachtung. Erneut vergebens! Als Folge meiner Überwindung zum Therapieversuch  verschlimmerten sich meine chronischen Herzrhythmusstörungen und ich entwickelte über Wochen Magen-Darm-Probleme.

 

Die Erkenntnis, medikamentös nicht mehr ohne erhebliche Nebenwirkungen zu erleiden, gegensteuern zu können, forderte mich emotional beträchtlich. Darüber hinaus bewirkte die Aussage der Ärzte, dass ihnen die Erfahrungen zu den körperlichen Abläufen nach 40 Jahren Dialyse fehlt, meine Ratlosigkeit.

 

Mit diesen emotionalen Belastungen bin ich von der Klinik in meine Heimatdialyse zurückgekehrt.

 

In dieser Situation erkundigte sich meine Ärztin bei der Visite nach meinem Befinden.  Meine Antwort: "Für die Kassenleistung der Visite können sie mir auch zukünftig  einen Schimpansen ans Bett senden. Der sei für mich ebenso hilfreich wie meine behandelnden Ärzte".  Die Aussage akzeptierte sie nicht. Sie war der Meinung, dass sich viele Ärzte um mich bemühen und diese Aussage unfair für alle sei. Da ich nicht anstrebte durch die Aussage nach 29 Jahren guter Behandlung meine Dialysepraxis zu verlassen, entschuldigte ich mich nach einigen Tagen.

 

Fronten

 

Das Beispiel zeigt ein großes Problemfeld vieler Patienten der Anfangsgeneration „Dialyse“ bundesweit auf. In der Tat werden diese häufig mit ratlosen Ärzten konfrontiert. In der Folge entwickeln sich Fronten. Auf der einen Seite stehen hilfesuchende Patienten, die Fachleute ihrer Erkrankung geworden sind und unzählige Therapieerfahrungen besitzen. Die andere Seite bilden Ärzte, die diese Kenntnisse nicht besitzen können und spätestens nach der dritten Therapieablehnung, Dessintresse für die Patientenbehandlung entwickeln. Dieser Gordische Knoten ist kaum zu lösen!

 

Desinteresse am Patienten

 

Ärzte, die mit unserer Patientengruppe Therapieerfahrung gesammelt, und eine enge Patientenbindung auf menschlicher Basis aufgebaut hatten, befinden sich, wie in früheren Publikationen dargestellt, inzwischen im Ruhestand. Die Folgegeneration ist zwar exzellent ausgebildet, besitzt aber nach der Meinung vieler Mitpatienten, und dies sind auch meine Erfahrungen, ein ausgeprägtes menschliches Desinteresse am Patienten. Man will heute auch gar keine menschliche Bindung mehr aufbauen, da der Patient früher oder später eh sterben wird. Das würde dann persönlich werden ..., dass muss auf jedem Fall verhindert werden! Man nennt dies Professionelle Distanz in den medizinischen Statuten.

 

Unbeachtete Patienteninfos

 

Ärzte besitzen darüber hinasu zudem zu enge  Zeitfenster um sich noch intensiv um den Patienten auf der medizinischen Ebene kümmern zu können. Das bestätigt auch eine Studie, die im Fachblatt "Jama Internal Medicine" veröffentlicht wurde. "Demnach verbringen Klinikärzte nur 13 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Patienten. Die anderen 87 Prozent gehen an Papierkram und Besprechungen verloren."  Andere Studien aus jüngster Zeit kommen sogar nur auf 9 bis 12 Prozent Arbeitszeit am Patientenbett.  In den 1990er-Jahren war der Anteil doppelt so hoch.) Ich, sowie meine Mitpatienten in gleicher Situation, bräuchten schon ein Wochenkontingent an Zeit um uns vorzustellen.

 

Mitgereichte Arztbriefe und Patienteninfos zu unserer Situation finden keine Beachtung. Dies bestätigen und beklagen auch viele Ärzte. Eine Patientin schrieb mir kürzlich hierzu: "Da man so viele Erkrankungen hat, bräuchte man einen Arzt, der sich mit anderen berät und auch die Sachen liest, die er über uns von anderen Ärzten erhält. Wir wurden doch um unser Krankheitsbild abzuklären zu Fachärzten überwiesen. Warum setzt man das Puzzle aus lauter Einzelberichten klinisch nicht zusammen? Nur so erhält man doch ein Bild zu unserer ausgefallenen Situation. Aber das Thema Ärzte und das Lesen von Berichten ist eine ausweglose Situation für uns Patienten".

 

Ich habe die gleiche Erfahrung gemacht. So habe ich meinen  Zustand auf knappe acht Sätze reduziert und eine kurze farbige Grafik zur Nachdrücklichkeit erstellt.  Doch beides blieb bis heute unbeachtet.

 

Die Situation wird vor allem in Notfallsituationen, wo wir uns nicht mehr selbst äußern können, lebensbedrohlich. Denn in der Zwangslage laufen  standardisierte Automatismen ab, deren negative Abläufe kaum ein Arzt zu unserer Situation erfasst.

 

Therapieverweigerung als Selbstschutz

 

Für unsere Patientengruppe müsste im Gesundheitswesen, eine Abrechnungsziffer geschaffen werden, die den höheren Zeitaufwand mit uns vergütet. Eventuell wäre es so möglich, den Patienten ausführlicher in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Im jetzigen zeitgedrängten System kommt es zu unzähligen Vorfällen, die oft lebensbedrohlich enden. So berichtete mir ein Patient, dass er trotz dringender verbaler Darstellung und Vorlagen von Akten zu seiner Problematik, fast sein Bein verloren hätte. Beide Hinweise sind im Nirvana verschwunden. Von Ärzten die in der Abfolge bedauernd vor unserem Bett stehen, haben wir nichts. Um solche Vorfälle zu vermeiden, verweigern Patienten mit langer Erfahrung, immer häufiger Therapien.  Sie entscheiden sich für eine bestimmte Lebensqualität, auch mit dem Wissen, dass  sie so um einiges früher versterben. Ein Professor sagte kürzlich zu mir, er hätte den Eindruck, ich hätte Angst vor dem Tod und würde aus dem Grund vieles ablehnen. Wer meine Publikationen kennt, weiß, dass dies nicht der Fall ist. Vor dem Weg des Sterbens habe ich Angst, denn es ist sicher, dass auch da keiner an unserer Seite stehen wird, der uns Ruhe und Sicherheit vermittelt. Ich gehe fest davon aus, dass wir selbst in der Situation, auf uns selbst gestellt sein werden. Dabei kann Sterben eine schöne Zeit sein. Eine, auf die man sich mit der richtigen Begleitung, freuen kann! 

 

Um länger überleben zu können, bräuchte es Ärzte, die uns ernst nehmen. So bei  Therapieablehnungen kein Dessintresse entwickeln, sondern eine Verweigerung als unseren Selbstschutz erkennen.  Nie würde ein Arzt,  der eine  negative Therapierfahrung bei einem Patienten besitzt, die gleiche Therapie erneut anordnen.  Nichts anderes praktizieren auch wir! Jedoch schreibt mir hierzu eine Patientin: "Auf die Ärzte zu hören bringt in unserer Situation meistens nichts mehr. Wir sind zu speziell für das erforschen medizinischer Lösungen." Eine Problemdarstellung in der Endlosschleife ...

 

Medizinisches Unvermögen

 

Trotz aller Darstellungen halte ich die  ärztlichen Erklärungen, dass Therapieerfahrungen mit unserer Anfangsgeneration fehlen für medizinisches Unvermögen!

 

Ich gehöre, so wie viele  Mitpatienten in ähnlicher Situation, zur Anfangsgeneration nierenkranker  Kinder unter Dialysetherapie. Hätten die Ärzte der Pionierzeit ebenfalls mit fehlender Therapieerfahrung argumentiert, hätte nicht einer von uns bis heute überlebt. Die Ärzte entwickelten und experimentierten in Zusammenarbeit mit uns Kindern neue Therapien.  Von diesen Entwicklungen profitieren nachfolgende  Generationen bis heute!

 

Mit Sicherheit wäre Ähnliches mit etwas Mut und Teamfähigkeit auch im heutigen Gesundheitssystem noch möglich. Nach meiner Meinung sogar einfacher als damals. Denn im Gegensatz zur Kindheitszeit besitzen viele Mitpatienten heute Fachwissen, das sie einbringen könnten.

 

Statt dies zu erkennen und immer wieder aktiv mit dem Patienten anzugehen, erfahren wir zu 95 % 08/15 Gespräche. Die werden so gestaltet, dass die Bedrängnis vermieden wird, sich  tiefer in  medizinische Problemfelder einzulassen. So dauert im Durchschnitt eine Visitierung an der Dialyse häufig zwischen 60 und 90 Sekunden.

 

Eid des Hippokrates

 

Wir Langzeitpatienten bräuchten Ärzte an unserer Seite, die noch die Ansprüche an sich selbst haben, um jedes Patientenleben aktiv zu kämpfen. Denn hierfür  haben Sie einst die Berufswahl getroffen und den Eid des Hippokrates geleistet. Ein Professor der mich behandelt zeigt dass dies klinisch auch heute noch möglich ist.

 

Unserem Schicksal überlassen

 

Leider sind wir inzwischen so erkrankt, dass wir für diese Problematik keine Lobby mehr aufbauen können.   Noch gelingt es uns selbst immer wieder neue Lösungen zu finden, doch wie lange noch ...?! Unsere  Probleme werden sich in naher Zukunft auf  biologische Weise erledigen. Bis dahin werden wir in vielen Problemfeldern nicht nur im medizinischen, sondern auch im sozialen Bereich, unserem Schicksal überlassen. Dies habe ich zahlreich publiziert und zu vielen Gelegenheiten  vom Podium vorgetragen.

 

Fazit:

 

Die dargestellte Dramatik für unsere belastende Situation, blieb hinter dem Sarkasmus und dem Symbol des "Schimpansen" abermals  unerkannt. Die Darstellung wurde auf  einen Affront gegen die ärztliche Ehre herabgesetzt! Aber gerade diese Herabsetzung verdeutlicht das medizinische Scheitern und die dadurch verursachte Hilflosigkeit auf Patientenseite!

 

Für diese Kolume musste ich nach 29 Jahre als Patient die Dialysepraxis verlassen.