Mein Weg - Die Geschichte beginnt … mit Stil

Meine Geschichte begann im März 1972 im saarländischen Bildstock, einem Ortsteil von Friedrichsthal (auf der Karte rot markiert). Damit hatte ich das große Glück, im schönsten Bundesland Deutschlands geboren zu sein.

Vom ersten Atemzug an wurde ich streng katholisch erzogen. Das widerstrebte mir – und aus Protest zog ich mich für den Mini-Playboy aus. Hier eine Aufnahme aus der Märzausgabe 1972.

Frisch gezapft statt frisch geboren

In Deutschland ist es allgemein üblich, dass Kleinkinder mit der Milchflasche aufgezogen werden. Im Saarland hingegen setzt man seit Generationen auf das Kraftgetränk der Karlsberg Brauerei: "Ur Pils"! Meine Flaschenaufzucht war die Aufgabe meines Großvaters. Er vertrat zudem die feste Überzeugung, dass "die Nieren" regelmäßig gespült werden müssen. Mein Patenonkel – leider viel zu früh verstorben – hatte eine andere Theorie: Alles muss auf seinem Schoß gut durchgeschüttelt werden.

 

Kindheit zwischen Menschenrechten und modischen Fehltritten

 

Wo sind die Menschenrechtsorganisationen, wenn man sie als Kleinkind wirklich braucht? Warum müssen Kinder immer eine Kopfbedeckung tragen? Und warum dürfen Eltern, die ihre Kinder derart verunstalten, ungestraft herumlaufen?!


Bis ich dieses Bild sah, dachte ich immer, in den 70er-Jahren hätte man Flokatiteppiche nur auf dem Boden verwendet. Aber anscheinend eigneten sie sich auch als Mütze. Kein Wunder, dass ich heute – egal wie kalt es ist – niemals eine Mütze oder einen Hut trage.


Im zarten Alter von fünf Jahren engagierte ich mich bereits für die Völkerverständigung und genoss mein Leben in vollen Zügen – mit meiner ersten Freundin. Wäre doch nur mein Gedächtnis so gut wie mein Humor, dann wüsste ich vielleicht noch, wer die Kleine war …

Naturverbunden – mit Nebenwirkungen

 

Schon früh zog es mich in die Natur und ich ging gern auf Wanderschaft. Leider bekam mir das nicht sonderlich gut. Ich erlitt immer wieder Erkältungen und erkrankte schließlich im Alter von vier Jahren 1976 an den Nieren.

 

Vom Glück des zweiten Versagens

 

1977 erlitt ich mein erstes Nierenversagen, 1979 folgte das zweite. Beim ersten Mal gelang es den Ärzten, meine Nierenfunktion mit Endoxan und Lasix wiederherzustellen. Zwei Jahre später, 1979, musste ich jedoch notfallmäßig in die Uni-Kinderklinik Heidelberg verlegt werden – im Saarland konnte man mir nicht mehr helfen.


Die Ärzte in Heidelberg konnten meine Nieren leider nicht mehr retten. So wurde ich mit sieben Jahren, am 27. März 1979 ca. 17:00 Uhr, dialysepflichtig. In Heidelberg erlernte ich mit meinen Eltern die Heimdialyse, wodurch mir dreimal wöchentlich die Reise zur Dialyse nach Heidelberg erspart blieb.

Erholung mit Hut

 

Nachdem ich einige Zeit dialysiert wurde, sollten meine Eltern und ich uns erholen. Zusammen mit anderen Kindern der Kinderklinik durfte ich drei Wochen in den Urlaub fahren. Viele meiner damaligen Weggefährten auf dem Gruppenfoto sind leider schon lange verstorben. Mein größter Stolz in dieser Zeit? Mein Hut! Ich entschied mich dann doch Hut zu tragen ... ;-)

 

Ein Zuhause in drei Bildern

 

Wie man sieht, habe ich meine Kindheit größtenteils in der Klinik verbracht. Doch drei Bilder zeigen mich zu Hause:

  • 1979 bei meiner Einschulung
  • Zur heiligen Kommunion
  • 1985, zwei Jahre nach meiner Transplantation, als ich endlich wie ein normales Kind lebte und mit Freunden feierte

Leider brach der Kontakt zu diesen Freunden vollständig ab. Besonders tragisch: Die Freundin auf dem letzten Bild verstarb 2015 viel zu früh mit Anfang 40. Ich werde sie nie vergessen.

Berufseinstieg – Vom Holzhacken zur Saarbergwerke AG

 

1990 begann dann meine berufliche Laufbahn: Ich arbeitete bei der damaligen Saarbergwerke AG in Saarbrücken in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Mitarbeiterinformation. Neben meinem Beruf wollte ich mir mit Holzhacken das Geld für meinen ersten PKW verdienen. Mein Vater konnte dem Treiben aber nicht zuschauen – und so sponsorte er mir mein erstes sowie zweites Auto.

Ein neuer Lebensabschnitt – Krankheit und Erkenntnis

1996 wurde ich wegen erneuter Verschlechterung meines Gesundheitszustandes berentet. Trotz fehlender medizinischer Erklärung wurde ich immer kränker. Panikattacken zwangen mich, fast zwei Jahre das Haus nicht mehr zu verlassen. Erst ein Umzug, eine Gesprächstherapie und die Feststellung einer fast elf Jahre übersehenen Magnesiumvergiftung brachten die Wende.

 

Durch das Internet entdeckte ich den Verein Junge Nierenkranke Deutschland e.V. Monika Centmayer, die damalige Vorsitzende, aktivierte mich und gab mir eine neue Aufgabe. Auch Paul Dehli † brachte mir viel bei – vor allem, wie man Computer per Telefonhilfe meistert. Beiden bin ich bis heute "sehr" dankbar.

 

Selbsthilfe – Eine neue Berufung

 

Durch die Aufgaben im Verein Junge Nierenkranke Deutschland e.V. stellten sich mir immer neue Aufgaben. Ich reiste wieder über die Grenzen des Saarlandes hinweg, hielt Vorträge, plante Seminare mit, besuchte Kongresse und lernte viele neue Leute kennen. Darunter auch Thomas Lehn † der 51 Jahre ununterbrochen Dialyse machte. Er war mir nicht nur ein Vorbild  geworden sondern auch ein guter Freund bis zu seinem Tode 2021.

 

Er und ich hatten eine sehr enge Freundschaft und viel in der Selbsthilfe mit aufgebaut, entwickelt und begleitet. Ihn wie Paul Dehli vermisse ich schmerzlich! Solche Feunde findet man nur einmal im Leben.

Ehrenamtliche Beratung und Arbeit von zu Hause
Ehrenamtliche Beratung und Arbeit von zu Hause

Von der Bühne ins Netz – Selbsthilfe digital

 

Im Jahre 2011erkrankte ich schwer an Herzrhythmusstörungen und konnte nicht mehr so aktiv in der Selbsthilfe mitarbeiten. Ich musste meine Ämter nach und nach niederlege. Fortan wurde ich eigenständig über das Internet von zu Hause aus tätig und unterstütze seither Patienten online und am Telefon. Zudem bin ich eine Art Selbsthilfeaktivist geworden, der vom Patientenbett aus viele Missstände im Bereich der Dialyse/Nephrologie aufzeigt. Dies macht mich nicht bei allen beliebt und ich musste nach einer Publikation, nach 29 Jahren Dialyse, 2019 mein Dialysezentrum Verlassen.

Die Anerkennung – Bundesverdienstmedaille

 

2015 wurde ich von Bundespräsident Joachim Gauck für meine ehrenamtliche Arbeit mit der Bundesverdienstmedaille in Vertretung durch die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann ausgezeichnet.

Heute – Weniger kann mehr sein

 

Wie man sehen konnte, habe ich schon ein bewegtes Leben mit Höhen und Tiefen hinter mir. Der schlimmste Tiefpunkt in meinem Leben erlebte ich, als ich keine Aufgabe mehr hatte und 2011 am Herzen erkrankte und ich mich so aufgegeben hatte. Zum Glück hatte mich der Lebensmut nicht ganz verlassen und ich habe mich mit Mühe und Hilfe ins Leben zurückgekämpft.  Heute genieße ich im Rahmen meiner Möglichkeiten mein Leben. Dabei musste ich schwer lernen, dass wenig auch viel sein kann. Mein Glaube zu Gott und der regelmäßige besuch in der Kirche geben mit sehr viel Kraft.

 

Der Dialysetag sehe ich heute als Wellnesstag an und dem entsprechend macht mir die Dialyse mit Laptop Spaß.

 

Lasst Euch nicht hängen, Dialyse bedeutet nicht das Ende jeder Lebensfreude! Es bedarf aber Eigeninitiative und die Kraft der Akzeptanz die Krankheit anzunehmen und sein Leben dieser ständig anzupassen!

Dank und Anerkennung

 

Ich Danke allen die mich auf meinem Weg  über 38 Jahren bekleidet haben und zum Teil hoffentlich noch lange bekleiden werden. In erster Linie danke ich meinem Vater, der auch heute immer noch für mich da ist, wenn ich ihn brauche, meiner Mutter, meinen Großeltern und meiner Patentante (Leider schon verstorben) und Patenonkel.

 

Stellvertretend für das Ganze medizinische Team, dass mich all die Jahre erfolgreich betreut hat, möchte ich den zwei Ärzten meinen Dank aussprechen, die über all die Jahre meine medizinische Versorgung bestimmt haben. Prof. Dr. med. K. Scherer, Prof. Dr. med Otto Mehls die mich von 1979 bis 1993 betreuten und Dr. med. Fugger sowie Dr. med. K. Schilz die mich von 1990 bis 2016 medizinisch versorgten. Ihnen stellvertretend für alle ein herzliches Dankeschön. Ich wünsche meiner aktuellen Nephrologin Frau Dr. Mayhar Römer ebenso viel Glück in meiner zukünftigen Behandlung.

 

Martin G. Müller