Persönlicher Nachruf zu
Monika Centmayer
Eine Powerfrau der aktiven Selbsthilfe hat uns für immer verlassen ...
". . . und es wird ein bißchen aussehen als wäre ich tot, aber das wird nicht wahr sein. Du verstehst. Es ist zu weit. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Er ist zu schwer. Aber er wird daliegen wie eine alte, verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche alten Hüllen.
(Antoine de Saint-Exupéry)
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Am 22.10.2021 ist meine langjährige Freundin sowie Kollegin der Selbsthilfe, Monika Centmayer, der ich sehr viel zu verdanken habe, im Alter von 55 Jahren verstorben. Sie war ein Vorbild wie eine Visionärin der Selbsthilfe, die das Leben liebte und sich von ihm nahm, was es zu bieten hatte.
Ich lernte Monika über einen Freund kennen. Er erzählte mir 2002 vom Verein „Junge Nierenkranke Deutschland e.V.“ der sich in der Aufbauphase befand. Monika war hier Vereinsgründerin und Vorsitzende.
Bei der Recherche nach dem Verein entdeckte ich Leute im Vorstand, die ich aus dem Klinikalltag, meiner Kinderzeit kannte. Nach meiner Vereinsanmeldung entstand mein erster Kontakt zu Monika. Immer häufiger standen wir danach in telefonischer Verbindung. Dabei entstand ihr Wunsch, dass ich das Amt des Schriftführers im Verein übernehmen sollte. Ich erklärte ihr, dass ich durch meine Krankheit eine Rechtsschreibschwäche besitze. Ich war der Überzeugung, ein Schriftführer sollte gut schreiben können. Ihre Reaktion; „dies ist kein Problem, ich muss das Protokoll vor dem Unterschreiben ja gegenlesen, dann korrigiere ich. Komm in den Vorstand wir brauchen Dich!“
Wieder gebraucht zu werden hörte sich gut an! Ich war seinerzeit 30 Jahre und seit vier Jahren in Rente. Keine Aufgabe mehr zu haben und nicht mehr gebraucht zu werden, machte mir so schwer zu schaffen, dass ich an Panikattacken litt und das Haus außer zur Dialyse, zwei Jahre nicht mehr verlassen habe.
Ich konnte mit Monika sehr offen über meine Ängste sprechen, die mich am Verlassen des Hauses und des Saarlandes hinderten. Sie nahm das zu Kenntnis und meinte; „das war gestern, nun wirst Du mit Deiner Erfahrung der Krankheit für andere und den Verein gebraucht.“ Sie motivierte mich in zahlreichen weiteren Telefonaten so, dass ich mich plötzlich bei einer Vorstandssitzung in Wildberg wieder fand. Für meine Anreise organisierte sie alles. Ich selbst musste nur bis Kaiserslautern fahren, von da nahmen mich Paul Dehli oder Thomas Lehn mit.
Mit ihrer besonderen aktivierenden Art und Lebensenergie hat sie mein Leben so verändert, dass ich plötzlich in Hamburg, Fulda, Würzburg und vielen weiteren Orten in Deutschland, Seminare für den Verein plante und durchführte. Ich reiste jetzt selbst mit dem PKW durchs Land. Monikas Art zu motivieren, hat einfach mitgerissen. Man wollte dabei sein, die Krankheit wurde unbemerkt zur Nebensache. Sie gab mir wieder eine Aufgabe, wodurch ich mich wieder nützlich und gebraucht fühlte. So reiste ich auch als Vereinsvertreter zu Kongressen und begann Berichte für die Presse zu verfassen.
Mein Alltag veränderte sich so, dass ich morgens an meinen Schreibtisch ging und ihn teils spät in der Nacht wieder verließ. Teils versendete ich E-Mails noch um 1:30 Uhr. Monika war hier trotz Beruf und Heimdialyse, nicht anders. Wozu sie andere motivierte, lebte sie täglich vor. Sie verdiente wirklich den Ausdruck Powerfrau. Mit ihr konnte man kaum Schritt halten. Sie hatte nicht nur viele Ideen, nein, wenn sie diese präsentierte, merkte man schnell, sie waren bis zum Ende durchdacht. Beim Zuhören war man schon in der Überlegung der Umsetzung außer Puste.
Weiter lernten wir alle von ihr, mit Zettel und Kugelschreiber ins Bett zu gehen. Damit wir ja jeden Gedanken für die Vereinsarbeit festhalten konnten. Der Verein stand bei allen Beteiligten, ob im harten Beruf, mit Familie oder gesundheitlich belastet, im Mittelpunkt. Partner und Familie auch teils Arbeitgeber standen mit dahinter. Sie hatte ein Feuer entzündet, dass keiner, weil es angenehm wärmte, löschen wollte.
Das Beispiel, wie sie mein Leben veränderte, war kein Einzelfall. Ich könnte viele Beispiele von Mitgliedern, Patienten und Angehörigen nennen, die sie an die Hand nahm und so mit ihrer Motivation zurück in ein aktives Leben führte. Das war Selbsthilfe in höchster Perfektion! Ich sagte immer zu ihr, „Du hast die Gabe Lahme in den Wanderverein zu bringen, die dann auch noch mit dem Wandern langsam beginnen.“
Monika war diese Art der Selbsthilfe eine Herzenssache und auch ihr Ursprungsgedanke für die Vereinsgründung des Junge Nierenkranke Deutschland e.V. Der Vorläufer dazu waren „die The Selfmakers.“ Sie wollte mit unseren gelebten Erfahrungen zusammen mit Fachleuten, junge Nierenkranke zu den Themen, Schule, Ausbildung, Studium, Beruf sowie Familie und Medizin beraten wie informieren. Sie sollten es dadurch einfacher im Leben haben wie wir, die sich alles hart erkämpfen mussten. Viele wussten nicht, wie Sie ihr Leben mit Krankheit so gestallten sollten, dass sie in den Beruf finden, der das Fundament einer Familiengründung mit allem was dazugehört, bilden sollte. Für unsere kleine Gruppe findet man bis heute kaum Beratung vor Ort.
Wir organisierten drei Seminare im Jahr und veranstalteten Urlaube sowie Städtereisen. Unvergessen neben den Seminaren, waren die schönen Grillfeste in Wildberg, die sie organisierte. Seminarplanungen nahmen sehr viel Zeit in Anspruch. Teils dauerten Vorstandssitzungen hierfür zwei Tage. Dabei führte Sie harte und energische Diskussionen mit uns, bis wir ihren Kurs verstanden. Monika wollte die Besten Referenten zum Thema. Wir belächelten Sie und meinten oft, da machst du dir unnötige Arbeit, die kommen doch NIE zu uns. Zu unserer großen Verwunderung folgten auch die ihrer hartnäckig vorgetragenen Einladung.
Bei Seminaren tauschte man sich aus und lernte von den Biografien der anderen Teilnehmer. Das voneinander Lernen untereinander unterstützte sie von außen immer so, dass wir zu unseren Problemen von erstklassigen Medizinern und Fachleuten, die besten Informationen erhielten. Das war Pionierarbeit, denn solche Seminare, gab es in den Regelmäßigkeiten nicht in Patientenvereinen. Hier standen meist nur Patienten und erzählten von ihrem Leben mit Krankheit oder ein Dialysearzt kam aus der Praxis und referierte. Diese Vorträge fand sie einschläfernd und für junge aktive Patienten nutzlos. Den Teilnehmern dieser Seminare war es im Anschluss möglich, mit ihren Ärzten, auf dem neusten Stand der Wissenschaft, ihre Behandlung auf Augenhöhe zu besprechen. Das war auch Ihr Ziel!
Sie tüftelte immer alles bis ins kleinste Detail aus. So wechselten Seminarorte in Deutschland immer daher,
um Mitglieder schon bei der Anreise im Unterbewusstsein aufzuzeigen, was sie trotz Krankheit schaffen können. Das Ziel war nicht die Orte kennenzulernen, sondern das Ziel zu erreichen. Denn dies
stellt bis heute für viele ein großes Hindernis da. Das Programm wurde an den schwächsten Mitglieder ausgerichtet, denn die, so meinte Monika, werden im normalen Leben schon oft genug
ausgeschlossen. Dann sollten sie es nicht auch noch im Verein für Selbsthilfe erleben. So steckte in jedem Bestandteil der Vereinsarbeit, ihre große Energie alle zu motivieren. Wir Mitglieder und
Vorstand waren zusammen eine große aktive Familie. Man freute sich auf die regelmäßigen Treffen und stand zahlreich im privaten Austausch. Der Vorstand, der fast täglich auch zur späten
Abendstunde, an Weihnachten und anderen Feiertagen sowie bei oder nach der Arbeit telefonisch kommunizierte, bildeten ein Team. Alle wurden von Monika so motiviert, dass alle Spaß am aktiven
Zusammenwirken hatten. Die Arbeit bestätigte und stellte so einen positiven Ausgleich zum Alltag dar. Im Bundesverband Niere e.V. erhielten wir so den Namen „Junge Wilde“! Worauf wir mächtig
stolz waren.
Als jedoch dieser Ursprungsgedanke von ihr im Verein nach und nach verloren ging und die Nachfolger sozusagen begangen den Verein nur noch zu verwalten, das Angebot reduzierten, die schwächsten bei Planungen vergessen wurden, Seminare keine mehr waren, ist Monika aus dem Verein ausgetreten. Eigentlich sollte sie Ehrenmitglied werden. Aber von so etwas hielt sie überhaupt nichts. Man tut was man kann, hilft, wo Hilfe notwendig ist und dann ist gut. Würdigungen helfen nicht viel. Mit leisem Ton laut sein und auf Hilfsangebote für alle aufmerksam machen, war ihr fester Standpunkt.
In diesen Abläufen kam es auch zwischen ihr und mir zu einem großen Zerwürfnis, das dazu führte, dass wir fünf Jahre keinen Kontakt hatten.
2012 sollte die Dialysekostenpauschale reduziert werden. Hierbei stand auch die Behandlungsqualität aller Patienten in Deutschland auf dem Spiel. Diese Ungerechtigkeit bewirkte bei Monika einen solchen Ärger, dass sie erneut aktiv wurde. Sie war inzwischen in Rente und nierentransplantiert.
In diesen Abläufen kamen wir wieder in Kontakt. Bei der Kontaktaufnahme sprang jeder über seinen Schatten. Es entstand bis heute wieder ein freundschaftliches Verhältnis mit teils langen intensiven wie motivierenden Gesprächen.
Im Anschluss kreuzten wir, wie die drei Musketiere, zusammen mit unserem Freund Joachim Kaiser (auch Gründungsvater des Junge Nierenkranke Deutschland e.V.), symbolisch die Degen und zogen wieder in den Kampf.
Der Kampf wurde von Monika mit ihrer Energie und Motivation erneut angeführt. So lernte das Gesundheitsministerium in Berlin uns, nein, Monika Centmayer kennen. In kürzester Zeit kannten sie alle, die in erster Verantwortung in Deutschland politisch wie im Dialysebereich standen. Die wurden von ihr so motiviert, dass diese auch Geheimnisse preis gaben. Sie war so vielseitig über alle Vorgänge informiert und in Kürze vernetzt. Zeitungen sowie die ARD berichteten über unseren/ihren Kampf. Joachim und ich die an Ihrer engen Seite standen, fanden uns in gewohnter Rolle. Wir, wie auch viele andere, liefen außer Atem neben dem Kraftbündel her und setzten ihre Ideen mit um.
Monika reichte eine Petition beim Bundestag ein und schaffte es über 80.000 Unterschriften zu sammeln. Wieder war sie das Energiebündel, das dies alles bewerkstelligte und in Berlin im Petitionsausschuss vor zahlreichen Politikern furchtlos und rhetorisch gekonnt darstellte. Am Ende erzielte Sie einen Teilerfolg. Die Pauschale wurde nicht in allen geplanten Stufen reduziert. Davon profitieren bis heute über 80.000 Dialysepatienten in Deutschland.
2011 gründete sie im sozialen Netzwerk Facebook die Gruppe „Nierenkrank“. Ihre Idee war, sozusagen als Vorreiterin, das soziale Netzwerk zur gegenseitigen Hilfe zu nutzen. Eventuell auch mit Gewinn für die Selbsthilfe vor Ort, worauf sie immer wieder verwiesen hat. Bis heute finden hier fast 5000 Menschen, an 7 Tagen der Woche rund um die Uhr, Hilfe und Unterstützung in schweren Lebenslagen. Auch hier durfte ich sie wieder in der Arbeit begleiten und diese bis heute fortführen! Die Gruppe ist heute im sozialen Netzwerk führend im Bereich der Nierenerkrankung.
Monika hatte immer große Ziele und den Antrieb sie umzusetzen. So kämpfte sie sich nach der erfolgreichen Transplantation aus der Rente zurück ins Berufsleben. Jeder fragte warum machst Du denn sowas? Ihre Antwort; „Ich möchte Sozialwissenschaft studieren!“ An der Stelle lachte keiner, man nahm sie sehr ernst. Wie nicht anders zu erwarten, schloss sie ihr Studium mit Ende 40ig erfolgreich ab. Jedoch gelang ihr nicht nur dies, sie fand auch direkt, trotz Krankheit, eine Arbeitsstelle.
Ich schaute an dieser Frau und ihrem Lebensmut wie Lebensenergie immer bewundernd hinauf. Die Nierenkrankheit seit frühster Kindheit, mit Dialyse und Transplantationen, hat ihr wiederholt Beulen verpasst und sie auch sicherlich innerlich zum weinen gebracht. Aber trotzdem hat sie oft wie ansteckend von Herzen gelacht. Sie lebte und liebte ihr Leben mit allem und nahm sich von ihm, was es zu bieten hatte. Ihre Größe im Umgang mit den Mitmenschen sowie das umsetzen und angehen von Projekten, ist unerreichbar. So veränderte sie neben meinem Leben, wie dargestellt, auch das unzähliger anderer Menschen.
Ich könnte unendlich fortführen, was diese große Persönlichkeit noch bewerkstelligt hat.
Am 22.10.2021 verließ sie ihre große und aktive Lebenskraft für immer! Dabei haben nicht nur ihr Vater, der eine große Bedeutung für sie hatte und ihre Familie einen großen Verlust erlitten, sondern alle die sie kannten. Sie wird immer als großes Vorbild, die im Stillen viel bewegte und angeschoben hat, in unserer Erinnerung bleiben. Ihr Ideal sollte Antrieb für die Selbsthilfearbeit der Zukunft sein, die dringend benötigt wird!
Mein tief empfundenes Beileid spreche ich ihrem Vater, ihrer Familie sowie Freunden aus. Ich wünsche allen viel Kraft in dieser schweren Zeit.
Mit großartigem Respekt, unendlicher Bewunderung für diese Lebensleistung sage ich sowie Dein Freund Joachim, aus tiefen Herzen sowie Dankgefühl, lebe wohl Monika!
Es war uns eine Ehre, Dich ein Stück Deines Lebens begleiten zu dürfen. Mach es gut wir vermissen Dich!
Martin G. Müller
Saarbrücken
Spektrum Dialyse
Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht im Herzen der Mitmenschen.
(Albert Schweizer)