Patient in der Sackgasse: Wenn medizinische Bürokratie die Lebensqualität gefährdet

Von Martin G. Müller – Spektrum Dialyse

 

Dieser Artikel basiert auf meinen persönlichen Erlebnissen die schriftlich vorliegen.

 

Ein Patient mit einer langen Krankengeschichte will nur eines: Klarheit. Doch wer einmal das System hinterfragt, erlebt eine Kakophonie an Widersprüchen und Zuständigkeiten. Das zeigt der Fall eines Langzeitpatienten an der Uniklinik Homburg, der sich seit Wochen für eine weiterführende Diagnostik einsetzt – bislang ohne Erfolg.

 

Die Fakten: Der Patient hat nachgewiesene Anti-Wr(a)-Antikörper (im Blut) mit niedrigen Titer 1 (sehr gering). Diese wurden erst auf sein eigenes Drängen hin entdeckt, nachdem er im Rahmen einer eigenen medizinischen Publikation auf entsprechende Zusammenhänge gestoßen war. Die Diagnose im Anschluss führte zu einem Notfallausweis, der ihn als Träger dieser Antikörper ausweist – ein klares Indiz, dass seine Vermutung berechtigt war. Doch während dieser Erkenntnis schwarz auf weiß dokumentiert ist, bleiben weiterführende Untersuchungen vor einer Bluttransfusion aus.

 

Dabei geht es nicht um eine komplexe oder besonders teure Diagnostik. Die sogenannte verlängerte Inkubation im indirekten Coombs-Test kostet keinen hunderte Euro (GOÄ 3987, 3988, 3989) – es geht um sogenannte „Peanuts“, einen verhältnismäßig geringen Betrag, den der Patient sogar bereit wäre, privat zu zahlen. Doch dieser Wunsch stößt in der Klinikstruktur auf eine Wand aus administrativer Verzögerung und unklaren Zuständigkeiten.

 

Die Kommunikation verläuft schleppend. „Wir arbeiten strikt nach den gesetzlichen Vorgaben“, heißt es in einer Antwort aus der Klinik. Doch genau diese Vorgaben schließen eine weiterführende Testung nicht aus – sie schreiben lediglich die Standarduntersuchungen vor. Warum also ist es so schwer, eine zusätzliche Diagnostik durchzuführen, wenn der Patient sie selbst finanzieren möchte?

 

Währenddessen verschlechtert sich der Zustand des Patienten. Sein Hämoglobinwert liegt mittlerweile bei 7,7 – ein kritischer Wert, der Müdigkeit, Leistungsabfall und weitere gesundheitliche Einschränkungen mit sich bringt. Doch anstatt einer Lösung zu finden, verzettelt sich das System in Zuständigkeitsfragen. Die Kommunikation innerhalb der Klinikstruktur scheint nicht optimal zu funktionieren. Während sich Assistenzärzte an Vorgaben klammern, ist ein Termin beim zuständigen Direktor erst Wochen später möglich – selbst dann, wenn es um eine privat finanzierte Terminierung geht.

 

Dabei steht das Angebot an den Patienten, sofort eine Bluttransfusion, nach allgemein Testung zu übertragen. Dass der Patient mit der neuen Erkenntnis Nebenwirkungen, die er nun zuordnen kann und seine Lebensqualität stark belasten vermeiden möchte, bleibt beim Angebot erneut ausgeblendet.

 

Ein öffentlicher Konzil-Bericht, auf den sich die Klinik beruft, gibt Hinweise darauf, dass Meldungen unerwünschter Transfusionsnebenwirkungen zwar empfohlen wurden, aber nicht zwangsläufig umgesetzt werden. Ein weiteres Beispiel für die bürokratischen Hürden, die zwischen Patienten und einer zielgerichteten Behandlung stehen.

 

Der Patient kämpft nicht um Leben oder Tod – aber um seine Lebensqualität. Er möchte keine Sonderbehandlung, sondern schlichtweg eine medizinische Maßnahme, die helfen könnte, seine Nebenwirkungen zu minimieren. Und doch bleibt er in einem System gefangen, das eher nach Aktenlage als nach individueller Notwendigkeit entscheidet. Es bleibt die Frage: Wie kann es sein, dass ein Patient, der alle Optionen kennt, sich durch medizinische Literatur arbeitet und sogar selbst eine Publikation dazu verfasst hat, auf so wenig Gehör stößt?

 

Ein funktionierendes Gesundheitssystem sollte nicht nur die Standardversorgung gewährleisten, sondern auch Spielraum für individuelle Entscheidungen lassen – insbesondere dann, wenn der Patient aktiv zur Lösung beiträgt. Dass eine verhältnismäßig einfache Untersuchung durch administrative Barrieren verwehrt bleibt, zeigt ein strukturelles Problem auf, das dringend und vielfältig hinterfragt werden muss.

 

Das System der Bürokratie und der verschobenen Verantwortlichkeiten entfaltet auch in diesem Fall seine volle Wirkung. Wo der Patient heute noch um eine Untersuchung kämpft, die seine Lebensqualität verbessern könnte, wird er schon bald keine Wahl mehr haben und stattdessen um eine Bluttransfusion bitten müssen. Der Überlebenswille wiegt am Ende schwerer – und damit werden die Fragen nach Ursachen und Prävention irrelevant.

 

Nach Punkten ist er so hier längst auf die Matte geschickt worden. Doch moralisch und menschlich hat das System, mit allen Akteuren schon verloren, noch bevor es diesen Ring überhaupt betreten hat. Die Frage ist nur: Wen interessiert das?

 

Diese Abläufe haben dem Patienten deutlich gemacht, dass seine Zeit mit seinen Bedürfnissen und Anforderungen vorbei ist. Er passt als Patient nicht mehr in diese starren Strukturen, in denen individuelle Lösungen kaum noch vorgesehen sind. Stattdessen bringt er oft junge Ärzte in die unangenehme Lage, hilflos vor seinem Bett zu stehen – nicht, weil sie nicht helfen wollen, sondern weil das System es ihnen erstens nicht erlaubt und zweitens, weil sie noch zu weit am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen.

 

Dies ist keine Kritik an der Klinik oder den behandelnden Ärzten, sondern an einem System, das uns allen auferlegt wurde. Ein System, in dem sowohl Patienten als auch Ärzte gezwungen sind, sich in festgelegten Strukturen zu bewegen – oft ohne Spielraum für individuelle Lösungen. Doch genau das ist für chronisch Kranke essenziell. Deshalb müssen dieser Missstände wenigstens auf allen Ebenen sichtbar gemacht werden, damit die Verantwortlichen immer wieder erkennen können, wie dringend eine bessere, individuellere Patientenversorgung notwendig ist, selbst wenn es sie nicht interessiert. Viel mehr kann man heute schon nicht mehr tun als für Veränderungen eine Argumentationshilfe darzustellen.